Kolumne: Olympischer Gedanke Orenair — ein Geheimtipp für den Flug in den Kaukasus

Sotschi · Das mulmige Gefühl ist spätestens verflogen, als sich der ehemalige Skisprung-Olympiasieger Jens Weißflog in der ersten Reihe der Holzklasse niederlässt. Eine Flasche XXL-Whiskey sorgt für eine tschechische-amerikanische-isländische Verbrüderung.

Sport bildet. Wenn man sich zur Sommerzeit intensiv mit den Qualifikationsrunden zur Europa League im Fußball beschäftigt, lernt man exotische Orte tief im Osten, in walisischen Tälern und hoch oben am Polarkreis kennen. Und aufmerksamen Beobachtern der Tischtennisszene ist das Städtchen Orenburg ein Begriff, spätestens seit Deutschlands Nummer eins für den dort am Südende des Urals ansässigen Klub "Fakel Gazprom" spielt. Dank Dimitrij Ovtcharov war also bekannt, dass Orenburg existiert und dass es deshalb nicht ganz unwahrscheinlich ist, dass es auch die dort angeblich ansässige Fluglinie "Orenair" gibt und die Tickets für Sotschi-Flüge verkauft.

Ein bisschen mulmig darf es einem aber doch sein, wenn man auf dem Frankfurter Flughafen in den entlegensten Winkel geschickt wird, um dort mit eben jener Linie einen Direktflug in den nördlichen Kaukasus anzutreten. Ein bisschen mulmig auch deshalb, weil die versammelte Kollegenschaft Umwege über Moskau oder Istanbul bevorzugte, um mit halbwegs renommierten Airlines nach Sotschi zu gelangen.

Zur Beruhigung trug bei, dass der Flieger bei der ersten Inaugenscheinnahme einen durchaus stabilen Eindruck machte. Die letzten Zweifel an der Zuverlässigkeit des Verkehrsmittels waren verflogen, als sich Jens Weißflog in der ersten Reihe der Holzklasse niederließ. Wenn einer etwas vom Fliegen versteht, dann ja wohl der Olympiasieger im Skispringen. Athleten aus Island und Andorra stiegen zu, hinzu kamen Kanadier in großer Zahl und japanische Eiskunstläufer, die freilich auffällig lange Zeit in der Sicherheitskontrolle zugebracht hatten.

Der Flieger hob ab — pünktlich auf die Minute. Die Stewardessen in ihrem leuchtend blauen Kostüm waren freundlich und lustig — als das "Chicken" ausgegangen war, gab die eine der andere mit einem Ententanz zu verstehen, dass sie Nachschub an Geflügel brauchte. Das Essen war ordentlich und reichhaltig — neun Scheiben Wurst gehörten zum Menü, da können sich andere Linien mal eine Scheibe abschneiden. Es gab reichlich freie Plätze, um die Beine auszustrecken — die Qualitäten von "Orenair" haben sich offensichtlich noch nicht herumgesprochen.

Whiskey und deutsches Liedgut

Dem einen oder anderen Mitreisenden mangelte es an Bord allerdings an alkoholischen Getränken, um sich in olympische Stimmung zu bringen. Und so erfreute sich ein Tscheche, der im Dutyfree-Shop eine XXL-Flasche Whiskey erstanden hatte, auf einmal großer Beliebtheit. Seine Großzügigkeit führte dazu, dass sich ein tschechisch-amerikanisch-isländisches Grüppchen zusammenfand, das mit jedem Flugkilometer lauter wurde und die mahnenden Zeigefinger der Stewardessen beharrlich ignorierte. Zur Feier der Verbrüderung einigte man sich auf international gebräuchliches deutsches Liedgut: "Ein Prosit der Gemütlichkeit".

Nur Jens Weißflog fand die derart zelebrierte Völkerverständigung gleich hinter seiner Rückenlehne nicht so toll. Aus seinem geplanten Nickerchen wurde nichts. Nicht schlimm. Schließlich muss er auch nicht mehr auf die Schanze. Und der Flug erreichte auch geschlagene 40 Minuten früher als geplant den Airport "Sotschi-Adler".

Unglaublich, diese Orenburger. Pünktlich, freundlich — fast wie die Deutsche Bahn. Aber die bekommt auf der Rückreise von Frankfurt nach Düsseldorf noch eine Chance.

(RP)
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