Olympias "Schande" Das "Kettensägenmassaker" am heiligen Berg

Pyeongchang · Für die olympische Abfahrtsstrecke in Jeongseon mussten Zehntausende Bäume weichen, manche 500 Jahre alt. Für einige Umweltaktivisten ein "Kettensägenmassaker".

 Die Abfahrtsstrecke in Jeongseon.

Die Abfahrtsstrecke in Jeongseon.

Foto: dpa, nic

Wenn Aksel Lund Svindal, Beat Feuz und Thomas Dreßen am 11. Februar in der Abfahrt von Jeongseon um die vielleicht begehrteste olympische Goldmedaille kämpfen, wird vom "Kettensägenmassaker" am heiligen Berg auf den ersten Blick nichts zu sehen sein. Dann liegen die Stümpfe jahrhundertealter Bäume auf der "Olympic Downhill" verdeckt unter eineinhalb Metern Kunstschnee. Der wohl umstrittenste Wettkampfort der Winterspiele von Pyeongchang wird wie eine normale Skipiste aussehen.

Wer aber genauer hinsieht, wird erkennen, dass die Strecke am Mount Gariwang im Taebaek-Gebirge alles andere ist als gewöhnlich. Links und rechts der Piste überzieht dichter Wald die sanften Hügel, die auch im Winter weitgehend schneefrei sind. Immerhin ist es kalt genug, dass problemlos beschneit werden kann. Auch deshalb fiel die Wahl auf diesen Ort, als Pyeongchang einen Berg für die Olympia-Abfahrt suchte. Und: Der 1561 m hohe Gariwang erfüllt als einziger Berg im Gebiet Pyeongchang die Anforderungen des Weltverbandes FIS, die für Abfahrten 800 m Höhenunterschied vorschreiben.

Plan zur Wiederaufforstung erwies sich als zu teuer

Aber: der Wald. Nicht irgendeine Ansammlung von Bäumen - ausgewiesenes Naturschutzgebiet, historisch, kulturell und ökologisch bedeutsam, für manchen Koreaner "heilig". Der weltweit größte Bestand an Wangsasre-Birken, bis zu 500 Jahre alt, Rückzugsgebiet geschützter Tierarten. König Sejong der Große ließ schon im 15. Jahrhundert am Gariwang Ginseng exklusiv für den Palast anbauen. Der Berg kam unter seinen Schutz, der Zugang wurde streng kontrolliert, Flora und Fauna entwickelten sich beinahe ungestört. Die Bäume überstanden sogar die Rodungen in Kolonialzeit und Koreakrieg - dann kam Olympia.

Das OK versprach "nachhaltige Winterspiele". Doch einen "Legacy Plan" für die Piste, also eine Verwendungsidee für die Zeit nach den Spielen, hat es nicht. Seilbahn und Flutlichtmasten werden wohl wieder abgebaut. Ein Plan zur Wiederaufforstung erwies sich als zu teuer, weshalb die 2852 m lange, 160 Millionen Euro teure Piste wohl einfach der Natur überlassen wird.

Als Pistenbauer Bernhard Russi den Berg im August 2001 erstmals auf Tauglichkeit prüfte, beschritt er "Trampelpfade, die wohl einzig von Tieren oder Förstern stammten", wie er sich in der Schweizer Revue erinnert. Mehr war da nicht. Nur Wald. Auch Naturschützer waren dabei, schließlich gehe es hier um "Glaubensfragen", sagt Russi. Für die einen sei Pistenbau "Blödsinn", andere wie er selbst seien der Meinung, "dass die Natur in einem gewissen Maß dazu da ist, damit sich der Mensch in ihr bewegen kann". Das erfordere Eingriffe.

Laut Olympischer Charta, Regel 2, Punkt 13 ist es Aufgabe und Funktion des IOC, "einen verantwortungsvollen Umgang mit Umweltbelangen zu stärken und zu unterstützen" und "zu verlangen", dass die Spiele "in Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen veranstaltet werden". Am Gariwang, sagt Kim Choony von der Nichtregierungsorganisation Friends of the Earth South Korea, sei dieser Grundsatz "für sechs Tage Skirennen" mit Füßen getreten worden.

Laut Regierung sind 50.000 Bäume gefällt worden, laut Aktivisten waren es 120.000

Im Spiegel spricht sie von einem "Massaker mit der Kettensäge", Umweltschützer hätten beim Ortstermin im Herbst 2014 geweint. Laut Regierung sollen rund 50.000 Bäume gefallen sein, Aktivisten zählten über 120.000 - ein lukratives Geschäft für die beauftragte Firma. Alle Versuche, das OK von Alternativen zu überzeugen, schlugen fehl. Für die Aktivisten von Green Korea United eine "Schande".

Das OK verweist stolz darauf, dass die Strecke "mehrere Male" verändert worden sei, "um Natur zu erhalten und Eingriffe zu minimieren". Pistenbauer Russi strich die Linie für die Frauen-Abfahrt, Männer und Frauen fahren erstmals auf nahezu identischer Strecke, das Programm musste deshalb umgestellt werden. Gern erzählt Russi die Geschichte vom "Magic Tree". Eigens für den magischen Baum, der Frauen einst geholfen haben soll, schwanger zu werden, ließ er eine weitere Kurve einbauen.

Magie und Olympia - das passt aus Sicht der Veranstalter viel besser zusammen als sinnloser Raubbau an der Natur.

(sid)
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