Nichts sehen, nichts merken Die Sünder von einst lenken den Radsport

Funktionäre und Fahrer ordnen die Doping-Enthüllungen im Radsport gerne einer längst vergangenen Epoche zu. Doch die inzwischen gefallenen Helden von damals üben in der Szene noch immer großen Einfluss aus.

Das jüngste Klassentreffen des Betrüger-Jahrgangs von 1998 fand am Mittwoch in Belgien statt: Während in Paris die Doping-Bombe platze, absolvierte Erik Zabel sein Alltagsprogramm als Sportlicher Leiter des Katjuscha-Teams beim Finale der Wallonien-Rundfahrt. Außer Ausflüchten gab es nach den jüngsten Enthüllungen nichts, dafür diverse Kontakte mit anderen belasteten Amtskollegen.

Falsche Schlüsse beim BDR

So geht es Rennen für Rennen: In den verantwortlichen Positionen des Radsports sitzen heute die Manipulateure von einst und dürfen wirken und kassieren, als sei nie etwas gewesen. Und wenn Rudolf Scharping als Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer sagt, die Pariser Enthüllungen haben "für die Gegenwart und die Zukunft des Radsports keine Bedeutung", ist dies ebenso falsch wie gefährlich: Denn mit dem aktuellen Personal ist eine konsequente Abkehr von dunkelsten Doping-Epochen kaum möglich.

Von den berüchtigtesten Figuren im Doping-Zirkus ist praktisch niemand dauerhaft aus dem Verkehr gezogen worden. Zu Unrecht bewunderte Sünder wie Jan Ullrich, Richard Virenque (beide Eurosport) und Laurent Jalabert (France Televisions) durften und dürfen teilweise immer noch als "Experten" eigentlich angesehener Medien ungehindert ihre krude Sicht auf die Dinge verbreiten. Weitaus bedenklicher aber ist, wie sehr die heutigen Teams im Renngeschehen und im angeblichen Kampf um sauberen Sport auf erwiesene Betrüger vertrauen.

Führungsriegen voller Doper

Der Däne Bjarne Riis, als Fahrer und Teamchef an systematischem Doping beteiligt, leitet das Topteam Saxo um Dopingsünder Alberto Contador. Der 1998 mit Epo gedopte Jens Heppner ist Sportlicher Leiter des deutschen Top-Teams NetApp. Rolf Aldag, der mit Zabel 2007 ein filmreifes (Teil-)Geständnis ablieferte, bekleidet bei Quick Step den unfreiwillig zynisch betitelten Posten "Sport- und Entwicklungsmanager". Die überführten Doper Alexander Winokurow (Astana), Igor Gonzalez de Galdeano (Euskaltel) und Jonathan Vaughters (Garmin) sind General-Manager von Topteams — die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Fakt ist: Im Radsport regiert noch immer das Prinzip der "Omerta". Wer zu seiner Doping-Vergangenheit schweigt, selbst als verurteilter Betrüger, dem winken weiterhin lukrative Jobs in vorderster Front. Ein Mechanismus, der in anderen Lebens- und Berufsbereichen undenkbar wäre.

Der Weltverband schaut weg

All dies geschieht unter Duldung des Weltverbandes UCI um seinen umstrittenen Präsidenten Pat McQuaid, das Interesse an Säuberung und Aufklärung ist erschütternd gering. Auf die Enthüllungen in Paris reagierte die UCI mit der Erklärung, dass die Proben von 1998 keine medizinische Beweiskraft hätten und schloss Disziplinar-Verfahren aus. Und überhaupt: "Der heutige Radsport hat sich in Gänze verändert. Es hat sich eine neue Kultur gebildet, die an den sauberen Sport glaubt", teilte der Verband mit: "Unsere Topfahrer bestätigen immer wieder, dass sich der Radsport selbst gesäubert hat."

Anti-Doping-Experten wie der Heidelberger Molekular-Biologe Werner Franke haben für solche Ansichten nur Spott übrig: "Ja, ja, jetzt ist alles anders — diese Aussage gab es schon immer, und sie hat noch nie gestimmt und ist immer noch schwachsinnig", sagte Franke: "Der Radsport ist immer noch korrupt auf höchstem Niveau. Gerade die Spitzen haben alles gesehen, gewusst und geduldet."

Doch erste Konsequenzen

Zumindest einige überführte Doping-Sünder haben nach den jüngsten Bekanntmachungen persönliche Konsequenzen hinnehmen müssen. Spaniens ehemaliger Radstar Abraham Olano (42) wurde als Technischer Direktor der Vuelta entlassen, das niederländische Profiteam Belkin trennte sich am Donnerstag mit sofortiger Wirkung von Sportdirektor Jeroen Blijlevens.

Bei den Betrügern von einst klingelt dennoch häufig die Kasse. Wer mag, darf sich von 13. bis 15. September noch in den Event "Ulle und Friends" einkaufen und gemeinsam mit Jan Ullrich und seinem Doping-Gefährten Udo Bölts für 999 Euro durch die Vogesen radeln. "Seien Sie dabei, treffen Sie die Kult-Stars der 97er Tour de France und erleben Sie drei unvergessliche Tage, von denen Sie noch lange erzählen werden", heißt es auf der Ullrich-Homepage. Es ist eine neue Art von Katastrophen-Tourismus.

(sid)
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