Radprofi Degenkolb "Haben viel dafür getan, um als Sportart transparenter zu werden"

Düsseldorf · John Degenkolb, Paris-Roubaix- und Mailand-Sanremo-Sieger von 2015, peilt mit neuem Team den nächsten Sieg bei einem Frühjahrsklassiker an. Aber auch bei der Tour de France will er nicht nur als Helfer von Alberto Contador mitfahren.

John Degenkolb sprintet zum Sieg bei Mailand-Sanremo
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Degenkolb sprintet zum Sieg bei Mailand-Sanremo 2015

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Foto: dpa, mau ss

Wer John Degenkolb zuhört, der merkt, was für ihn das Schönste an 2017 ist: dass 2016 vorbei ist. 2016 - dieses vermaledeite Jahr. Dieses verlorene Jahr infolge des Trainings-Zusammenstoßes mit dem Auto einer 73-jährigen Britin auf einer Landstraße in Spanien. Schwere Verletzungen, mehrere Operationen, langwierige Reha, eine Saison in der Zuschauerrolle. "Ich glaube, dass ich das Ganze mental verarbeitet habe, und ich will eigentlich gar nicht mehr so viel darüber sprechen, sondern in die Zukunft gucken und mich auf das konzentrieren, was in 2017 vor uns liegt", sagt der 28-Jährige.

2017 soll Neuanfang und Rückkehr zugleich sein für den Radprofi. Ein Neuanfang im neuen Team, der amerikanischen Trek-Segafredo-Equipe, zu der er nach fünf Jahren beim damaligen Giant-Alpecin-Team (heute Sunweb) gewechselt ist. Und eine Rückkehr zu der Form, die er 2015 hatte, als er die Frühjahrsklassiker Paris-Roubaix und Mailand-Sanremo gewinnen konnte. "Ich will natürlich wieder ein Monument gewinnen. Das ist das, auf das ich mich im Moment voll und ganz konzentriere", sagt Degenkolb. Ein Lieblingsrennen, bei dem er ganz oben stehen will, hat der Geraer dabei nicht. "Wenn man auf die einzelnen Rennen guckt, auf Sanremo, die Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix, dann sind alle drei sehr speziell. Alle drei haben ihren ganz eigenen Charakter."

Doch Frühjahrsklassiker hin oder her - Gent-Wevelgem (2014) und Paris-Tours (2013) gewann Degenkolb auch schon -, aus der Perspektive eines deutschen Radprofis dürfte es in diesem Jahr schwerfallen, irgendetwas von der sportlichen Bedeutung her höher zu hängen als die Tour de France. Schließlich findet der Grand Départ Anfang Juli in Düsseldorf statt. "Das ist natürlich eine ganz große Nummer", schwärmt Degenkolb. Dass er für Trek Segafredo bei der bedeutendsten Rundfahrt der Welt dabei sein wird, steht für den Sprinter und sein Selbstverständnis außer Frage. Nur eine Verletzung würde ihn wohl von einer Nominierung ausschließen. Beim Dabeisein will es Degenkolb allerdings im Tour-Feld nicht belassen. "Natürlich bin ich Teil einer Mannschaft, die in Person von Alberto Contador um den Gesamtsieg mitkämpfen möchte, aber ich möchte auch ganz bestimmt meine eigenen Chancen suchen und hoffentlich einen Etappensieg einfahren", sagt Degenkolb.

Zehn Etappensiege bei der Vuelta (Spanien-Rundfahrt) und eine beim Giro d'Italia stehen für ihn zu Buche, ein Tagessieg bei der Tour fehlt ihm noch. Doch sich deswegen noch einmal extra Druck zu machen, ist dann dieser Tage auch nicht so Degenkolbs Ding. "Für mich wäre es auf jeden Fall ein großer Traum, der in Erfüllung gehen würde. Aber es ist jetzt nicht so, dass ich deswegen schlaflose Nächte habe und an nichts anderes mehr denken kann", sagt er und lächelt.

Der persönliche Ehrgeiz ist eben das Eine, was Degenkolb antreibt. Aber er ist auch jemand, der den Blick über den Tellerrand der eigenen Karriere wirft. Auf die Entwicklung des deutschen Radsports nach den dunklen Jahren, beherrscht von Dopinggeständnissen und -enthüllungen. Und da gehe die Entwicklung in die richtige Richtung, findet Degenkolb. "Wir haben in den letzten Jahren viel dafür getan, um die Sportart ein bisschen zu öffnen, um hinter die Kulissen blicken zu lassen, transparenter zu werden als in der Vergangenheit, um einfach Vertrauen zu wecken." Mit "wir" meint er auch Kollegen wie Tony Martin, Marcel Kittel oder André Greipel, die mit ihren Erfolgen zu Protagonisten des neuen deutschen Radsports geworden sind.

Im Zuge dieser alternativlosen Transparenz-Offensive kommt der Tour-Start in Deutschland dann auch genau zum richtigen Zeitpunkt, findet Degenkolb. "Das gibt uns die Chance, die deutschen Sportfans allgemein zu erreichen und ihnen zu zeigen, dass es sich lohnt, die Tour de France zu verfolgen." Dass es sich lohnt, Degenkolbs Auftritte im Sattel zu verfolgen. Im Jahr eins nach 2016.

(klü)
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