Rudolf Scharping im Interview "Tony Martin in Gelb wäre schon sehr schön"

Für Rudolf Scharping ist 2017 kein Jahr wie jedes andere. Anfang Dezember wird der frühere Bundesverteidigungsminister 70. Und Anfang Juli darf er als Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer den Start der 104. Tour de France in Düsseldorf begrüßen. Wir haben mit ihm gesprochen.

 Rudolf Scharping im September 2016 beim Race am Rhein.

Rudolf Scharping im September 2016 beim Race am Rhein.

Foto: Hans-Jürgen Bauer

Erwarten Sie den Grand Départ als unbeschwertes Sportereignis oder als nervöses Hochsicherheitsereignis?

Rudolf Scharping Ich gehe davon aus, dass die notwendige Sicherheit gewährleistet werden kann, und ich habe auch volles Vertrauen in die dafür Verantwortlichen. Wir leben aber leider in Zeiten, in denen die Frage nach der Sicherheit bei so einer Veranstaltung noch notwendiger ist als sonst.

Wann wäre aus Ihrer Sicht der Tour-Start in Düsseldorf ein Erfolg für den deutschen Radsport?

Scharping Zunächst einmal ist es schon ein Erfolg, dass die Tour de France nach langer Zeit überhaupt mal wieder in Deutschland startet. Das allein zeigt ja schon die Wertschätzung für den deutschen Radsport. Natürlich würde dieser Erfolg noch schöner, wenn Tony Martin nach dem Auftakt-Zeitfahren im Gelben Trikot auf die erste Etappe gehen kann.

Ist das Ihr Traumszenario?

Scharping Das wäre schon sehr schön. Und ich glaube, Tony Martin wird auch sehr viel dafür tun, dass das auch gelingt. Allerdings sprechen wir hier ja gerade nur über die sportliche Seite des Erfolges ...

... sprechen Sie gern auch über die andere.

Scharping Die heißt da "großer Zuschauerzuspruch bei bester Organisation". Das habe ich im Vorjahr bei der Generalprobe in Düsseldorf selbst erlebt. Die vielen Kinder, die mit ihren ganz normalen Rädern ein Rennen gefahren sind. Ich habe ihre Begeisterung und den Stolz gesehen, den Spaß. Da sieht man, um den Radsport in Deutschland muss einem nicht bange werden.

Noch einmal zurück zu Tony Martin. Und zu einer These: Alle Erfolge deutscher Zeitfahrer und Sprinter helfen am Ende nicht, um hierzulande richtige Begeisterung für die Tour zu entfachen. Dafür bräuchte es einen fürs Gesamtklassement, mit dem die Menschen drei Wochen lang mitfiebern können.

Scharping Das sehe ich anders. Die letzten Jahre mit den Etappensiegen von André Greipel oder Marcel Kittel und den Erfolgen von Tony Martin haben gezeigt, dass die Begeisterung für den Straßenradsport in Deutschland auf einem guten Niveau angekommen ist. Dass da trotzdem noch Luft nach oben ist, ist unbestritten. Und wir hoffen ja, dass die Rückkehr der Deutschland-Tour im kommenden Jahr noch einen zusätzlichen Push erzeugt.

Sind die heutigen Grundschüler Ihre wichtigste Zielgruppe seit Jahrzehnten, weil sie den Radsport dopingunbelastet wahrnehmen?

Scharping Das ist ganz sicher so. Und insofern sind so bekannte wie sympathische Athleten wie Greipel, Kittel, Martin, John Degenkolb oder auch ein junger Mann wie Emanuel Buchmann wichtig. Und wenn dann das Zusammenspiel aus Interesse, medialer Berichterstattung und sportlichem Erfolg noch besser wird, gerade auf der Seite der Berichterstattung, wird das allen Beteiligten gut tun.

Erzählen wir Medien für Ihren Geschmack noch zu oft die bösen Dopinggeschichten der Vergangenheit?

Scharping Nein, das finde ich nicht. Diese dunkle Vergangenheit gibt es ja, und es hat ja auch keinen Sinn, sie verleugnen zu wollen. Aber dass der Radsport weltweit, und übrigens auf Initiative aus Deutschland, mit Blutkontrollen und dem Blutpass wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen hat, kommt mir manchmal zu kurz.

Als ich neulich mit John Degenkolb und Emanuel Buchmann gesprochen habe, waren beide der Meinung, dass einzig Transparenz dem Radsport Glaubwürdigkeit zurückbringt, dass die Fahrer aber mit der Transparenz eben auch langsam an Grenzen stoßen.

Scharping Das stimmt. Mehr Transparenz geht doch gar nicht. Man kann doch nicht daran vorbeisehen, dass wir im Radsport, was die Dichte und Qualität der Dopingkontrollen angeht, durchaus beispielgebend sind. Andere Spitzenverbände haben da ja auch nachgezogen oder müssen es noch tun.

Wenn Sie das andauernde Bemühen des Radsports um die Wiedergewinnung von Glaubwürdigkeit als 200-Kilometer-Flachetappe betrachten, bei welchem Kilometer befinden wir uns gerade?

Scharping Diese Etappe haben wir hinter uns.

Ja?

Scharping Ja. Da sind wir im Ziel. Wir müssen jetzt nur darauf achten, dass auf den weiteren Etappen nicht wieder etwas passiert, das an die unschöne Vergangenheit erinnert.

Wie haben Sie in diesem Zusammenhang Mitte Mai den Wirbel um Jan Ullrichs Berufung zum sportlichen Leiter des Rennens "Rund um Köln" und seinen prompten Rückzug angesichts heftiger Kritik wahrgenommen?

Scharping Ach, das ist doch vorbei, da muss man gar nichts mehr zu sagen.

Nein?

Scharping Nein. Ich sehe keinen Sinn darin, das jetzt noch zu kommentieren.

Gehe ich recht in der Annahme, dass jede weitere Frage zu Jan Ullrich dieselbe Antwort von Ihnen zur Folge hätte?

Scharping Ganz genau.

Gut, dann schauen wir doch noch einmal nach vorne: Bis 2020 bieten sich dem Radsport hierzulande die Bühnen Grand Départ, Deutschland-Tour, Bahnrad- und Mountainbike-WM. Keine schlechte Aussicht, oder?

Scharping Das ist richtig. In diesem Zeitraum werden wir so viele internationale Wettkämpfe in Deutschland haben wie noch nie. Das zeigt, dass wir als Gastgeber, als Organisatoren und als begeistertes Publikum eine Menge zu bieten haben. Das wird im Ausland vielleicht noch mehr erkannt und anerkannt. Aber das ändert sich auch. Da bin ich optimistisch.

Und was stimmt Sie optimistisch, dass die Deutschland-Tour dieses Mal eine dauerhafte Veranstaltung wird?

Scharping Einfach das Konzept. Der Veranstalter [Amaury Sport Organisation (A.S.O.), sie organisiert auch die Tour de France, Anm. d. Red.] ist sehr erfahren und hat ein großes Interesse am deutschen Markt. Und dann wird die Deutschland-Tour ja nicht allein ein Spitzensport-Event sein. Sie wird den Radsport für jedermann ebenso einbeziehen wie die Nachwuchsarbeit.

(klü)
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