Tour de France 2017 Das sagt ein Profi über die Sturz-Etappe

Düsseldorf · In den vergangenen drei Jahren nahm Andreas Schillinger (Bora-hansgrohe) an der Tour de France teil. Dieses Jahr fehlt er bei der Rundfahrt, kennt aber die tückische Abfahrt vom Mont du Chat. Der Sturz von Richie Porte hat ihn geschockt. Mit unserer Redaktion sprach er über die Gefahren bei Abfahrten.

 Radprofi Andreas Schillinger.

Radprofi Andreas Schillinger.

Foto: Stiehl Photography/Bora-hansgrohe

Herr Schillinger, die 9. Etappe nach Chambéry hat gleich mehrere schwere Stürze in den Abfahrten gesehen — unter anderem von Richie Porte. Wie gehen Sie als Profi mit solchen Bildern um?

Schillinger: Ich war geschockt, als ich den Sturz gesehen habe. Und es war ja auch nicht der erste an dem Tag. Zwei Abfahrten zuvor waren ebenfalls Geraint Thomas und mein Teamkollege Rafal Majka schwer gestürzt. Dort hatte das Team Ag2r attackiert — ob man das machen muss, ist eine andere Frage. Das war aus meiner Sicht schon eine grenzwertige Etappe.

Sie kennen die Abfahrt aus dem Criterium du Dauphiné im Juni aus eigener Erfahrung. Ihre Einschätzung?

Schillinger: Da konnte man schon merken, dass das es schwierig wird: sehr eng, neu geteert und in manchen Kurven bisschen Rollsplitt von den Autos. Den kriegt man nicht ganz weg. Und dann kamen dieses Mal noch einige feuchte Stellen hinzu. Einige Kurven waren auch extrem schwer einzusehen — unter anderem auch die Kurve, in der Porte zu Fall gekommen war. Da gab es einen Rechtsknick, der hinter der Mauer verschwand und dann links wegging. Man weiß leider nie, wie man diese Kurven anbremsen soll.

Einige Fahrer bemängelten auch die ruppigen und teils sehr schlechten Straßenbeläge von den Abfahrten zuvor.

Schillinger: Nicht jede Abfahrt kann bei der Tour neu geteert werden, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Es waren in den vergangenen Jahren immer wieder Abfahrten dabei, die technisch schwer waren, wo der Asphalt schwierig war und es Bodenwellen gab — so was hat man immer. Gestern kam erschwerend die Nässe hinzu.

Der Ire Dan Martin (Quick-Step Floors) kritisierte später den Veranstalter für die Streckenführung. Teilen Sie seine Meinung?

Schillinger: Als Fahrer vor Ort würde ich sagen, ja. Aber solche Etappen hatten wir auch in den vergangenen Jahren immer wieder. Die Frage ist: Müssen es dann so schwierige technische Abfahrten am Ende sein oder macht man das Ziel oben am Berg? Das würde schon viel neutralisieren. Der Kampf um die Gesamtwertung verschiebt sich dann auf die Abfahrt, weil am Berg davor die Kraft gespart wird.

Was nimmt man von solchen Sturzbildern mit?

Schillinger: Man denkt schon mal drüber nach, ob man die eine oder andere Abfahrt im Anschluss mal langsamer runterfährt. Und natürlich gibt es Fahrer, die große Probleme damit haben. Das fällt dann auch auf, dass die sehr unsicher auf dem Rad sind.

Abfahrten sind alles andere als Erholung für einen Radsportler. Können Sie uns einen Einblick in die Anstrengungen geben?

Schillinger: Der Puls ist der gleiche wie am Berg und bewegt sich bei 150 und 160 Schlägen in der Abfahrt. Man muss von der Konzentration voll da sein. Wenn die Konzentration nicht vorhanden ist, kann man nicht dranbleiben und verliert einfach das Hinterrad in der Abfahrt.

Zum Verständnis: Warum ist eine Abfahrt auf einem Rennrad noch einmal etwas ganz anderes, als auf einem handelsüblichen Fahrrad?

Schillinger: Das Gefährliche ist die Geschwindigkeit. Mit einem normalen Fahrrad kann man die Abfahrten nie so schnell herunterfahren wie mit dem Rennrad. Das hat sich aber auch entwickelt, da immer mehr auf Aerodynamik geachtet wird. Vor zehn Jahren habe ich vielleicht zweimal in einer Saison auf einer Abfahrt eine Geschwindigkeit von über 100 km/h erreicht, mittlerweile passiert mir das bei jeder Rundfahrt. Das Material ist aber auch besser geworden: das Bremsverhalten, die Bremsbelege, die breiteren Reifen. Das Sicherheitsgefühl ist schon ein anderes als früher.

Und welche Möglichkeiten gibt es speziell für Regenbedingungen?

Schillinger: Wenn man weiß, es ist ein kompletter Regentag, dann kann man an der Reifenwahl etwas ändern. Es gibt spezielle Regenreifen, die bei nassen Bedingungen viel mehr Grip aufbauen und besser funktionieren. Bei Bedingungen wie gestern fährt man aber den normalen Reifen. Die haben trotzdem gute Haftung und man kann sich gut in die Kurve reinlegen. Die Reifen sind in den vergangenen Jahren allerdings auch deutlich besser geworden.

Welche Veränderungen hat es gegeben?

Schillinger: Früher hatten wir noch 18 Millimeterreifen, heute fahren wir 25 Millimeterreifen, damit kann man besser in die Kurven steuern, da der Kipppunkt am Reifen einfach weg ist. Das Reifen wegrutschen, kann aber trotzdem passieren. Das kommt ja auch in der MotoGP vor — und die fahren ja noch deutlich breitere Reifen. Irgendwann sind halt Grenzen erreicht.

(dbr)
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