Dopingfall trübt Tour-Euphorie "Wir ärgern uns richtig darüber"

Düsseldorf · André Cardoso, Teamkollege von John Degenkolb bei Trek-Segafredo, wurde positiv auf EPO getestet. Der Portugiese bestreitet die Vorwürfe. Die Angst vor einem erneuten Generalverdacht vor dem Grand Depárt in Düsseldorf geht um.

 André Cardoso bei einem Zeitfahren.

André Cardoso bei einem Zeitfahren.

Foto: afp

Die Tour de France hat noch nicht begonnen, und doch steht bereits wieder das Thema Doping im Mittelpunkt. Bedanken darf sich die Radsportgemeinde bei André Cardoso. Der Portugiese wurde wenige Tage vor dem Grand Départ in Düsseldorf am kommenden Wochenende positiv auf das verbotene Blutdopingmittel EPO getestet. Sein Team Trek-Segafredo hat den 32-Jährigen suspendiert. Der Fall stößt vor allem dem Fahrerfeld sauer auf. "Wir ärgern uns richtig darüber. Wir haben in den vergangenen Jahren viel aufgebaut. Jeder positive Fall geht durch die Medien und sorgt wieder für Unruhe", sagte Nikias Arndt (Team Sunweb) im Gespräch mit unserer Redaktion.

Cardoso war als Edelhelfer des zweimaligen Gesamtsiegers Alberto Contador eingeplant. Auf seiner Facebook-Seite beteuerte Cardoso seine Unschuld. Es liest sich wie ein Best-of der tränenreichen Äußerungen unzähliger erwischter Sünder der vergangenen Jahrzehnte. Cardoso hofft auf eine Entlastung durch die B-Probe. Trek-Segafredo hat sich kurz und knapp in einer Stellungnahme geäußert. "Wir sind tief betroffen", hieß es da. Man fahre eine "Null-Toleranz-Politik", habe "höchste Ethikstandards", deshalb sei Cardoso sofort suspendiert worden. John Degenkolb, Cardosos deutscher Teamkollege, der als Vorreiter im Kampf gegen Doping gilt, darf sich nach Teamanweisung nicht äußern. Dafür spricht Nikias Arndt, Etappensieger beim Giro d'Italia 2016 und Helfer von Sprinter Michael Matthews bei der anstehenden Tour. "Es ist ein gutes Zeichen für das System, dass Cardoso erwischt wurde und hier in Düsseldorf am Wochenende nicht am Start steht", sagte der 25-Jährige. "Auch wenn es natürlich trotzdem ärgerlich für den Sport ist. Ich hoffe, dabei bleibt es, und in den nächsten drei Wochen kommt nichts mehr."

Kaum eine andere Sportart hat sich durch Doping-Verfehlungen so nachhaltig ins Zwielicht gerückt wie der Profi-Radsport. Mit der Festina-Affäre 1998 wurde erstmals offenbart, wie systematisch und flächendeckend in Teams gedopt wurde. Was folgte, war ein Jahrzehnt der Überführungen, Skandale und Prozesse. Aushängeschilder wie Lance Armstrong, Jan Ullrich oder Erik Zabel gestanden die Einnahme von EPO. Das Resultat in Deutschland: Die ARD verzichtete ab 2011 auf die Übertragung der Frankreich-Rundfahrt, stieg erst 2015 wieder ein - nachdem sich der am Boden liegende Radsport größte Transparenz und eine "Null-Toleranz-Politik" gegenüber Dopingsündern auferlegt hatte.

Für Arndt ist der Fall Cardoso so auch Bestätigung eines funktionierenden Systems. "Vor einigen Jahren hieß es: Wo viel kontrolliert wird, wird viel gefunden. Jetzt wird noch mehr kontrolliert und wenig gefunden. Man wird keinen Sport zu 100 Prozent sauber bekommen. Dessen sollte man sich bewusst sein. Da ist es schön zu sehen, dass das System funktioniert und aufdeckt, wenn jemand verbotene Substanzen nimmt." Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin sagte der "Sportbild": "Ich würde sagen, zu 98 Prozent ist das Feld sauber. Das ist natürlich nur eine Schätzung. Aber wenn es schwarze Schafe gibt, dann sind das individuelle Aktionen. Das von Teams gesteuerte Massenbetrügen gibt es definitiv nicht mehr."

Bei Doping-Kontrollen gelten mittlerweile härtere Vorschriften. Bei der Tour ist nicht der Tourveranstalter ASO. verantwortlich, sondern der in der Schweiz ansässige Radsportverband Union Cycliste Internationale (UCI). Der hat wiederum eine unabhängige Stiftung mit den Kontrollen betraut. Das soll eine Beeinflussung der Prüfer ausschließen.

32 zertifizierte Labors erhalten die anonymisierten Proben zur Auswertung. Auch das Institut für Biochemie an der Kölner Sporthochschule ist dafür qualifiziert. Die Kölner bemerken den nahenden Tour-Start: Sie haben in den vergangenen Wochen viele Proben aus dem Radsport erhalten, versehen mit der Bitte um schnelle Analyse. Denn die Doping-Kontrolleure wollen mögliche Betrüger - wie Cardoso - vor dem Start des wichtigsten Radrennens finden. Hans Geyer, Biochemiker an der Sporthochschule, hält das Doping-System im Radsport inzwischen für vorbildlich: Die UCI sei der erste Verband gewesen, der eine solche unabhängige Organisation aufgebaut habe, zudem lasse er auf ein großes Spektrum von verbotenen Substanzen testen. "Die UCI ist ein Vorreiter im Kampf gegen das Doping", sagt Geyer.

(RP)
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