Tour de France Auch der Letzte ist ein Star

Düsseldorf · Der langsamste Fahrer jeder Tour de France erfährt eine durchaus begehrte Ehrung: die rote Laterne. Dabei kommt es nicht nur darauf an, der schlechteste zu sein. Vielmehr muss man clever schlecht sein.

Die Letzten der Tour de France
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Foto: AFP

Heute in einem Monat ist schon wieder alles vorbei. Die letzte Etappe in Paris ist auf den Champs-Élysées zu Ende gegangen, der Gesamtsieger der 104. Tour de France auf großer Bühne geehrt. Ebenso der Sieger der Sprintwertung, der beste Bergfahrer, der beste Jungprofi. Auf derlei Ehren wird der Letzte im Gesamtklassement zwar verzichten müssen, aber ein besonderer Platz in der Geschichte des bedeutendsten Radrennens der Welt ist auch ihm sicher. Denn der schlechteste Fahrer ist im Tour-Universum eben auch ein Held — der Held vom anderen Ende. Für ihn gibt es seit 1903 die inoffizielle Auszeichnung der "Lanterne rouge", der roten Laterne, in Anlehnung an die Rücklichter eines Eisenbahnwaggons.

Das Kuriose an der roten Laterne ist dabei, dass es oft genug nicht etwa so ist, dass dem Letzten diese zweifelhafte Ehre eben zufällt. Nein, in vielen Fällen gibt es einen regelrechten Wettstreit darum, der Schlechteste zu sein. "Wissen Sie", sagt so der Belgier Wim Vansevenant 2007 vor der drittletzten Etappe, "ich kann mit meinem letzten Platz sehr entspannt leben." Von Neid in Richtung des Trägers des Gelben Trikots keine Spur. Das wäre für den Profi des Lotto-Teams ohnehin unerreichbar gewesen. Er war als Helfer eingeplant, und die "Lanterne rouge" bot die Möglichkeit, sich trotzdem seinen persönlichen Anteil am Ruhm zu sichern.

Dass es diesen Ruhm gibt, hatte der Flame schon im Jahr zuvor erfahren, als er erstmals Letzter geworden war und im Ziel für den 138. Platz eine eigens für ihn gezeichnete Karikatur ("Auch für die rote Laterne war die Tour sehr umkämpft") erhalten hatte. Knapp zwei Minuten "Vorsprung" hatte Vansevenant damals auf den Vorletzten. 2007 wiederholte er das Kunststück. Diesmal mit komfortablen sechs Minuten Abstand. Mit seiner dritten roten Laterne 2008 gelang dem Belgier schließlich Einmaliges: Er wurde alleiniger Rekordgewinner des letzten Platzes. Und weil ihm das eben in einer Phase der großen Dopingskandale gelang, mehrten sich die Stimmen in den Medien und bei Zuschauern, die anregten, doch einfach dem Letzten das Gelbe Trikot überzuziehen. Denn der sei doch am ehesten sauber.

Auch wenn sich die Idee letztlich als nicht mehrheitsfähig erwies, die Sympathien der Fans sind Fahrern wie Vansevenant sicher. Zum einen taugt in ihren Augen eben auch der Letzte einer Tour als Beweis dafür, welch unmenschliche Leistung diese Profis über drei Wochen auf 200-Kilometer-Flachetappen und in kraftraubenden Anstiegen in den Alpen und Pyrenäen vollbringen. Zum anderen wissen Radsportbegeisterte sehr wohl, dass es gar nicht so einfach ist, die Lanterne rouge zu ergattern.

Clever schlechter sein ist die Devise

Einfach nur der Schlechteste sein, reicht dafür nicht. Es kommt vielmehr darauf an, clever schlechter zu sein als die anderen. Denn es gibt eben die Karenzzeit. Das ist die Zeit im Ziel, die ein Fahrer nicht überschreiten darf, um nach einer Etappe nicht aus dem Rennen genommen zu werden. Errechnet wird sie als prozentualer Zuschlag auf die Zeit des Tagessiegers. Gerade in den Bergen tun sich daher die schwächeren Fahrer und die Sprinter in einem so genannten Gruppetto zusammen, um so über Teamwork am Ende innerhalb des erlaubten Zeitrahmens anzukommen - oder in der Masse dem Ausschluss zu entgehen. Das zweite Problem stellt sich bei den Einzelzeitfahren im Rahmen einer Tour. Denn an diesen Tagen starten die Fahrer in umgekehrter Reihenfolge des Gesamtklassements, und der Letzte kennt somit keine Zwischenzeiten, an denen er sich orientieren könnte.

Vansevenant beendete 2008 seine Karriere. Doch der Hattrick als schlechtester Tour-Fahrer sollte nicht das Einzige bleiben, mit dem er in der Radsportszene Bekanntheit erlangte. 2011 beschlagnahmte der Brüsseler Zoll ein Paket mit Dopingpräparaten, das an Vansevenant adressiert war. Sein Ex-Team, für das er als Betreuer gearbeitet hatte, kündigte ihm. Da half auch der Ruhm der roten Laterne nicht.

(klü)
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