Nibali vor Sieg der Tour de France Der Hai wird zum Floh

Bergerac · Vincenzo Nibali hat den Weg zum designierten Tour-de-France-Sieger sorgsam vorbereitet. Auch die Zweifel wegen seines teils schlecht beleumundeten Umfeldes haben ihn nicht irritieren können.

 Vincenzo Nibali hat den Weg zum designierten Tour-de-France-Sieger sorgsam vorbereitet.

Vincenzo Nibali hat den Weg zum designierten Tour-de-France-Sieger sorgsam vorbereitet.

Foto: ap, PDJ

Das letzte unmissverständliche Statement war ihm besonders wichtig. Vincenzo Nibali wollte nicht einfach nur das Rennen kontrollieren, er wollte es prägen. Und deshalb zeigte der Italiener am Donnerstag hinauf nach Hautacam mit aller Entschlossenheit, wer der Patron der 101. Tour de France ist. Aus dem "Hai von Messina" wurde der "Floh der Pyrenäen" - ein Spitzname, den Nibali einmal als Kind erhalten hatte. "Ich wollte meinen Fußabdruck in den Pyrenäen hinterlassen, noch mehr als zu zeigen, dass ich der Stärkste bin", sagte Nibali.

Den Astana-Kapitän kann lediglich ein Unglück noch von seinem ersten Tour-Gesamtsieg abbringen, sportlich gibt es keine Gegenargumente mehr. Und Nibali sieht seinen mutmaßlichen Triumph als ein Gesamtkunstwerk, als eine Folge seiner Überlegenheit auf jedem Terrain. "Ich bin nicht über sieben Minuten vorne, weil ich an einem Tag überragend war. Ich habe meine Sekunden die ganze Zeit über gesammelt."

So bereits auf der Paris-Roubaix-Etappe, als Nibali durch Übersicht, Konsequenz und bestechende Fahrtechnik alle direkten Konkurrenten weit hinter sich ließ. Oder gleich am zweiten Tag in England, wo dem Sizilianer in Sheffield ein Überraschungsangriff gelang. "Ich habe mich Stück für Stück entwickelt und über die Jahre verbessert. Alles hat sich bei mir um die Tour gedreht in dieser Saison", sagte Nibali, der auf dem Weg zum deutlichsten Tour-Titel seit Jan Ullrichs Erfolg 1997 ist.

Mit einem perfekten Zeitfahren am Samstag könnte er seinen Vorsprung auf über acht Minuten ausdehnen. Selbst Lance Armstrong, die Ikone des Dopingzeitalters, hat eine solche Marke nie erreicht. Gleichwohl entspricht Nibalis Auftreten nicht der Unterdrücker-Natur des Texaners. Der 29-Jährige ist auf dem Rad dominant, daneben kollegial. "Ich bin kein Boss wie es Armstrong war. Lasst die Vergangenheit ruhen", betonte er.

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Entsprechend erhält Nibali auch von den besten deutschen Radprofis Lob für seine Vorstellung. "Er ist mental und physisch allen überlegen, immer konzentriert", sagte John Degenkolb: "Nibali ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere." Marcel Kittel findet ebenfalls, dass der Italiener das Gelbe Trikot "verdient" auf seinen Schultern trägt. "Man muss seine Leistung einfach würdigen. Außerdem ist er ein fairer Sportsmann", sagte Tony Martin.

Nicht einmal Radsport-Chefkritiker Antoine Vayer fand Nibali bislang außerirdisch. Die Zweifel an ihm entstammen vorwiegend dem schlecht beleumundeten Umfeld. Astana-Sportdirektor Giuseppe Martinelli, Teamkollege Michele Scarponi und nicht zuletzt Generalmanager Alexander Winokurow. Es gibt eine Reihe von Mitgliedern der Entourage, die am miserablen Image des Radsports ihren Anteil haben. Für Winokurow sind die Verdachtsäußerungen ausschließlich Scharmützel der Presse gewesen, um seinen Schützling aus dem Konzept zu bringen. Trotz aller "Polemik" habe Nibali bewiesen, ein "würdiger" Tour-Patron zu sein, meinte der Kasache.

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In Italien waren die Medien nach der Nibali-Show in den Pyrenäen erwartungsgemäß überschwänglich. "Gelber Hai! Nibali ist legendär", schrieb die Gazzetta dello Sport angesichts des zu erwartenden ersten italienischen Tour-Sieges seit dem des später tragisch verstorbenen Marco Pantani (1998). Der Corriere dello Sport nannte Nibali eine "Legende".

Die einzige Antwort, die Nibali schuldig bleiben muss, ist die nach Christopher Froome und Alberto Contador. Hätte er die beiden ausgeschiedenen Top-Favoriten ebenfalls im Griff gehabt? Nibali kann nur sagen, dass ihn die Siege beim Giro und der Vuelta perfekt auf seine Rolle bei der Tour eingestimmt haben. Quick-Step-Manager Rolf Aldag hält das für einen "intelligenten Weg". "Dort habe ich die Erfahrung gesammelt, dort habe ich schon mit dem Druck des Führenden umgehen müssen", sagte Nibali. Jetzt muss er nur noch auf dem Rad sitzen bleiben.

(sid)
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