Zehn Jahre nach seinem schweren Unfall Reinhold Roth ist ein Pflegefall

Amtzell (dpa). Vor der Tür steht die 80er Honda von Sohn Matthias, im Therapiezimmer hängen Rennoveralls, im Wohnzimmer Fotos: Reinhold Roth strahlend auf seiner Maschine und inmitten seiner Familie. "Am Anfang haben wir nur in der Vergangenheit gelebt, doch die wird immer blasser", sagt Elfriede Roth. "Aber wenn ich damals nicht so hinter seinem Sport gestanden hätte, würde ich das alles heute nicht schaffen."

Ihr Mann ist auch zehn Jahre nach seinem Unfall in Rijeka, als er am 17. Juni 1990 schwerste Kopfverletzungen erlitt, ein Pflegefall. So rasant einst sein Tempo auf dem Asphalt war, so langsam sind seine gesundheitlichen Fortschritte. "Wir wissen nicht, was noch kommt. Es ist alles möglich", sagt seine Frau, die ihn mit unglaublicher Energie betreut.

1994 waren die Roths in das behindertengerechte neue Haus am Ortsrand von Amtzell gezogen. Das Grundstück hatte der Vize- Weltmeister von 1987 und '89 noch zu seiner aktiven Zeit ausgesucht, eine brusthohe Mauer umgibt es. Besucher, die nicht zur Familie gehören, bekommen Reinhold Roth selten zu sehen. Seine Frau will "ihn nicht verstecken, aber auch nicht öffentlich präsentieren, damit ihn alle begaffen können". Sie geht mit ihrem Mann schon mal ein Eis essen, aber sie nimmt ihn zu keiner Veranstaltung mit. Das wäre ohnehin zu anstrengend für ihn.

Als Elfriede Roth am Wohnzimmertisch bemerkenswert offen über das Schicksal spricht, das über sie hereingebrochen ist und das sie trotz aller Verzweiflung und Schwierigkeiten auch als Chance zu verstehen sucht, erwacht im Nebenzimmer ihr Mann aus dem Mittagsschlaf und macht sich mit einem kräftigen Husten bemerkbar. Seine Frau geht zu ihm hinüber. "Reinhold, ist alles in Ordnung?" "Ja", sagt Reinhold Roth. Dass er wieder sprechen kann, zählt zu den vielen "winzigen Fortschritten", die Elfriede Roth mit ihm und der Hilfe von Therapeuten erkämpft hat.

Als der Honda-Werkspilot bei jenem unglückseligen WM-Lauf frontal auf einen überrundeten Fahrer und gegen die Streckenbegrenzung geprallt war, gaben ihm die Ärzte eine Überlebenschance von zehn Prozent. Die Versorgung am Unfallort war miserabel, Reinhold Roths Gehirn acht Minuten ohne Sauerstoff. Später hieß es, er werde sein Leben lang ein Apalliker, nicht ansprechbar, bleiben. Die Perspektive: Pflegeheim. Zu ihrem 13. Hochzeitstag 1991 wünschte sich Elfriede Roth, dass er wenigstens die Augen aufmachen würde.

Heute sprechen die Ärzte von einem medizinischen Wunder, die gläubige Ehefrau des einstigen Rennfahrers lieber von einem "göttlichen Wunder". Reinhold Roth kann - wenn auch mit Mühe - eigenständig ein paar Häppchen essen, er kann seine Wünsche äußern und große Überschriften lesen. "Austherapiert" - diesen Begrif will Elfriede Roth nicht hören. "Es gibt Tage, da ist er ganz klar. Er sieht sein Kranheitsbild nicht wie wir. Er strahlt eine unheimliche Ruhe und Zufriedenheit aus." Reinhold Roth schaut sich gerne Motorradrennen im Fernsehen an, aber sagt danach auch schon mal: "Ich bin müde." Wenn er gefragt wird, warum, antwortet er: "Ich bin doch heute Rennen gefahren." Und? Gewonnen habe er natürlich.. .

Eine irische Therapeutin wohnt jetzt wochenweise bei den Roths, die acht Geschwister von Elfriede Roth helfen, wo sie können. Nach sieben Jahren unermüdlichen Einsatzes war die schmächtige 44-Jährige erstmals zusammengebrochen. "Nimm dich mal wieder selbst wahr", sagte sie sich, als sie im Krankenhaus lag. "Ich habe auch ein Recht auf Leben." Sie hofft nun auf eine Krankenschwester, die mal für ein Wochenende kommt. Finanziell ist das kein Problem, die Roths waren gut versichert. Doch Elfriede Roth, die "den Reinhold liebt, so wie es ist", tut sich immer noch schwer damit, sich nicht ausschließlich um das Wohlergehen ihres Mannes zu kümmern.

Sogar einen Fanclub hat Reinhold Roth noch, in Gummersbach. Der kommt einmal im Jahr in Amtzell vorbei und besucht den Europameister von 1982. "Eine ganz tolle Erinnerung", sagt Elfriede Roth, hat auch der 16-jährige Matthias an seinen gesunden Vater. Deshalb sei das Vater-Sohn-Verhältnis innig und unverkrampft. Dass der Junior heute auf ein Motorrad steigen darf, hat ihn zwar einige Kämpfe und Tränen gekostet, doch am Ende hatte seine Mutter ein Einsehen. "Was kann er dafür, dass sein Vater so einen Unfall hatte. Mir ist lieber, er fängt klein an, als wenn er sich mit 18 eine Tausender kauft. Rennfahrer wird Matthias eh nicht. Dafür ist er mit 1,90 zu groß."

(RPO Archiv)
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