Rudolf Scharping "Tour vielleicht bald bei uns"

Der Radsport gewinnt in Deutschland wieder an Ansehen. Die 102. Tour de France, die am Samstag in Utrecht startet, gewinnt dank deutscher Erfolge und des Wiedereinstiegs der ARD an Aufmerksamkeit. Ein Gespräch mit Rudolf Scharping (67), dem Präsidenten des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR).

 Rudolf Scharing sprach im Interview mit unserer Redaktion über die anstehende Tour de France.

Rudolf Scharing sprach im Interview mit unserer Redaktion über die anstehende Tour de France.

Foto: dpa, Rainer Jensen

Herr Scharping, was trauen Sie den deutschen Spitzenfahrern bei der Tour de France zu?

Scharping John Degenkolb kann Etappen gewinnen, möglicherweise hat er auch eine Chance auf das Grüne Trikot. Tony Martin hat bewiesen, was er im Zeitfahren leisten kann. Vielleich gelingt es ihm, gleich zu Beginn in Utrecht das Gelbe Trikot zu erobern und es länger als einen Tag zu behalten. Andre Greipel ist auch ein Mann für Etappensiege.

Gibt es in absehbarer Zeit wieder einen deutschen Rennfahrer, der im Gesamtklassement der Tour de France nach ganz vorn fahren kann?

Scharping Im Nachwuchs sind wir gut aufgestellt. Ob daraus ein Klassementfahrer hervorgeht, weiß ich nicht. Es ist schön, wenn man so einen Fahrer hat. Ich halte es aber für falsch, sich allein darauf zu fokussieren. Ich kenne wenige Radsportverbände, die so breit und so gut aufgestellt sind wie wir. Bei Niklas Arndt, der gut durch den Giro d'Italia gekommen ist, sieht man das Potenzial eines Klassementfahrers. Auch Emanuel Buchmann, der überraschend Deutscher Meister wurde, wird künftig zu beachten sein.

Immer wenn es einen deutschen Klassementfahrer gab - ob er nun Didi Thurau oder Jan Ullrich hieß - war die Aufmerksamkeit für den Radsport besonders hoch.

Scharping Wenn jemand so herausragende Leistungen wie unsere "Fantastischen Vier" - Marcel Kittel, Degenkolb, Greipel, Martin - zeigt, so findet das schon seine Resonanz, auch wenn es nicht um den Gesamtsieg bei einer Rundfahrt geht. Das sieht man auch daran, dass die ARD wieder zur Berichterstattung zurückkehrt.

Wie wichtig ist es, dass die ARD wieder überträgt? Die Radsportfans waren ja bei Eurosport stets gut versorgt.

Scharping Dafür muss man Eurosport danken. Die Übertragungen in der ARD sprechen ein breiteres Publikum an. Der Wiedereinstieg ist ein Stück Normalisierung. Der deutsche Radsport gehört schließlich zu den zuverlässigsten Medaillenlieferanten bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Dass die öffentliche Aufmerksamkeit eine Zeit lang vollständig vom Thema Doping dominiert war, war begründet. Ob es in dem Umfang berechtigt war, darüber zu streiten, ist müßig. Der Zustand hat sich geändert.

Wann kommt die Tour mal wieder nach Deutschland?

Scharping Christian Prudhomme, der Chef der Tour, war in den letzten beiden Jahren zunehmend in Deutschland. Ich weiß, dass er verschiedene Möglichkeiten auslotet. Vielleicht erleben wir die Tour bald wieder in Deutschland. Entweder mit dem Grand Départ, dem Start also, oder mit ein, zwei Etappen. Bemühungen darum gibt es.

Auch in Düsseldorf gab es vor vielen Jahren mal Interesse.

Scharping Wenn sich eine Stadt wie Düsseldorf diesem Thema noch einmal zuwendet, kann ich das nur begrüßen. Münster könnte eine Rolle spielen. Aus Thüringen gab es Bemühungen anlässlich des Luther-Jahrs 2017.

Inwieweit ist der Start von Astana bei dieser Tour ein Ärgernis? Tony Martin hat sich deutlich positioniert. Er sprach von "fragwürdigen Typen", in der Mannschaft, die immer wieder durch Dopingfälle auffällt.

Scharping Dass ein Team offenkundig selbstgesetzte Regeln und Regeln des Internationalen Verbandes UCI missachtet, ist mehr als ein Ärgernis. Es ist ständig die Erinnerung daran, dass im Sport im Allgemeinen und im Radsport immer auch das Thema Leistungsmanipulation und Doping auf der Tagesordnung stehen wird.

Nicht nur Astana mit Teammanager Alexander Winokurow schleppt einige Geister aus der Vergangenheit mit sich herum.

Scharping Ich habe schon 1998 nach dem Festina-Skandal gesagt, dass zur Dopingbekämpfung staatliche Maßnahmen gehören. Doping ist auf diesem Niveau ohne Ärzte, Masseure, Transporteure, Netzwerke im Hintergrund gar nicht vorstellbar. Es nur am Ende des Weges, nämlich bei den Sportlern, anzusiedeln, ohne die Hintermänner und Strukturen ins Visier zu nehmen, das war ein schweres Versäumnis. Das wird durch das Antidopinggesetz nun aufgeholt. Ein frühzeitigeres und härteres Vorgehen gegen Hintermänner hätte vieles verhindern können, was wir heute noch als Spätfolgen des Dopings beklagen.

Wie kann man verhindern, dass Hintermänner von damals heute noch aktiv sind?

Scharping Der Beweis muss erbracht, das Urteil gefällt und die Sperre ausgesprochen sein. Daran fehlt es leider. Mit noch so begründeten Hinweisen alleine lässt sich ein Berufsverbot nicht rechtfertigen.

Wie schätzen Sie als Sportpolitiker Hamburgs Chancen auf die Spiele 2024 ein?

Scharping Schwer zu sagen. Die Konkurrenten stehen noch nicht fest. Aus Amerika höre ich, dass Los Angeles statt Boston antritt. Das einzige, was wir tun können, ist, unsere Bewerbung mit allen Kräften zu fördern.

Aber ist das Bemühen um die Spiele 2024 nicht aussichtslos angesichts einer wahrscheinlichen Fußball-EM-Endrunde 2024 in Deutschland?

Scharping Warum eigentlich?

Es muss nicht alles in Deutschland stattfinden ...

Scharping Das ist schon richtig. Aber wenn etwas in Deutschland stattfindet, dann ist es glänzend organisiert und wird von der Bevölkerung mit großer Begeisterung begleitet.

Eine andere Olympia-Entscheidung steht unmittelbar bevor. Peking und Almaty in Kasachstan bewerben sich um die Winterspiele 2022. Wie ist Ihre Einschätzung als jemand, der mit seinem Beratungsunternehmen sehr stark in China engagiert ist?

Scharping Obwohl die Topographie nicht für Peking spricht, denke ich, dass die Chinesen im Vorteil sind. Mit Blick auf den Gedanken der Nachnutzung von Sportstätten ist es nicht ganz falsch, dorthin zu gehen. Schließlich würden auch Sportstätten genutzt, in denen schon bei den Sommerspielen 2008 Wettbewerbe stattfanden.

Olympia geht erneut in ein Land, das in Fragen der Menschenrechte einen anderen Maßstab anlegt als wir Mitteleuropäer.

Scharping Das war auch 2008 die Diskussion. Der Sport kann mit seinen Möglichkeiten, sehr viele indirekte und nicht minder wichtige Beiträge leisten. Man sollte an den Sport keine Erwartungen formulieren, die in den politischen Raum gehören und die auch dort ein sehr geduldiges und respektvolles Vorgehen erfordern.

Der Bund Deutscher Radfahrer hat eine positive Mitgliederentwicklung, die SPD, deren Vorsitzender Sie waren, ganz und gar nicht ...

Scharping Die CDU auch nicht.

Die hat mittlerweile mehr Mitglieder als die SPD. Haben Sie auf das richtige Pferd gesetzt, als Sie sich stärker dem Radsport zugewandt haben?

Scharping Wir sollten überall - egal ob in der Politik, in der Wirtschaft, im Sport oder in der Kultur - darauf achten, dass sich die organisatorischen Strukturen nicht so verhärten, dass sie als "closed shop" erscheinen. Sie müssen offen bleiben für Ideen, für junge Leute, sie müssen zum Mitmachen einladen. Daran fehlt es manchmal auch bei uns - bei uns im Radsport, meine ich.

MARTIN BEILS FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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