Dieter Baumann als Stasi-Opfer? "Spiegel" vermutet DDR-Trainer hinter "Zahnpasta-Affäre"

Albufeira (sid). Dieter Baumann als Opfer eines Sabotage-Aktes aus früheren Stasi-Kreisen - nichts scheint mehr ausgeschlossen im Dopingfall des Olympiasiegers. Ein anonymer Brief soll nach einem Bericht des Hamburger Nachrichtenmagazins Spiegel (Montag-Ausgabe) einen früheren DDR-Trainer als Drahtzieher des angeblichen "Zahnpasta-Anschlags" belasten. Ein neuer Ost-West-Konflikt im deutschen Sport ist nach den zahlreichen kritischen Äußerungen von Ost-Athleten zum Fall Baumann zu befürchten.

Dieter Baumann bestätigte den Inhalt des im Spiegel erwähnten Schreibens unmittelbar vor seiner Rückreise aus dem Trainingslager an der portugiesischen Algarve nur indirekt. "Bei mir sind zahlreiche Hinweise eingegangen, zu denen ich während der Ermittlungen nichts sage", erklärte der 34 Jahre alte Tübinger dem Sport-Informations-Dienst (sid) am Wochenende. Ein Brief mit ähnlicher Aussage war offenbar bereits vor Wochen bei der Geschäftsstelle von Baumanns Verein Bayer Leverkusen eingegangen.

Existiert der "Mister X" aus dem Osten, der die Baumann-Zahnpasta mit Nandrolon versetzte oder manipulieren ließ, so ging es diesem offensichtlich nicht darum, den Läufer Dieter Baumann zu zerstören, dem Ende des Monats eine Zwei-Jahres-Sperre durch den Deutschen Leichtahtletik-Verband (DLV) droht. Vielmehr könnte die Angst vor dem künftigen, unbequemen Sportpolitiker ein Motiv gewesen sein.

"Ich sehe einen Zusammenhang mit meinen Bemühungen um sauberen Sport im weitesten Sinne: Dopingkontrollen verschärfen, staatliche Hilfe einfordern, mehr Geld für Analytik", erklärte Baumann. Eine professionelle Funktionärs-Karriere nach dem Abschluss der Laufbahn war offensichtlich sein Ziel: "Ein Ehrenamt hätte ich nicht gemacht. Ich hätte Geld verdienen wollen."

Vehementer Doping-Gegner Der vehemente Doping-Gegner ist auch international in gewissen Kreisen der Lauf-Szene ein "Rotes Tuch". Seine Diskussionen mit Innenminister Otto Schily, seine Vorträge vor der Medizinischen Kommission des Internationalen Olympischen Komitees und der Ethik-Kommission der Europäischen Union (EU) mussten der Doping-Fraktion als geschäftsschädigend vorkommen. Bundestrainerin Isabell Baumann sagte dem sid: "Bei Gesprächen mit ausländischen Kollegen ist mir klar geworden, dass Dieter als kompromissloser Idealist von vielen wie eine Bedrohung empfunden wurde."

Laut Spiegel soll es sich bei dem belasteten früheren DDR-Coach um einen Funktionär handeln, der seit der Wende eine hochrangige Position im deutschen Sport einnimmt. Der Spiegel weist auf die Tatsache hin, dass Anfang der 80-er Jahre Wissenschaftler in Leipzig und Berlin nach neuen Wirkstoffen und Darreichungsformen geforscht haben. Dabei wären sie auch auf Androstendion gestoßen, ein Hormon, das dem geschmacksneutralen Norandrostendion sehr ähnlich ist. Letztere Substanz wurde Dieter Baumann bei zwei Trainingskontrollen am 19. Oktober und 12. November zum Verhängnis.

Die Forscher stellten dem Artikel zufolge zusätzlich fest, dass die Hormon-Verabreichung über die Nasen- und Mundschleimhaut möglich ist. Im Spiegel-Bericht wird daraus geschlossen, dass das Basiswissen für die Verabreichung über Zahncreme damit vorhanden war. Nach der Wende reichte Rüdiger Häcker, letzter ärztlicher Direktor des Leipziger Forschungszentrums FKS, laut Spiegel seine Funde zum Patent in Europa und den USA ein.

(RPO Archiv)
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