Analyse Der Fußball überschattet alles

Düsseldorf · In Deutschland haben es alle Sportarten schwer, sich gegen den Fußball zu behaupten. So werden selbst Spitzenleistungen von Athleten nicht mehr wahrgenommen, aber jede neue Frisur eines Fußballers wird in epischer Breite diskutiert.

Die höchsten TV-Quoten 2015 im Sport
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Die höchsten TV-Quoten im Sport 2015

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Foto: dpa, geb nic

Moritz Fürste gewann 2008 und 2012 die olympische Goldmedaille mit der deutschen Hockey-Nationalmannschaft. Er ist Europa- und Weltmeister geworden und war auch schon Welthockeyspieler. Dieser Moritz Fürste hat vor einigen Wochen einen aufrüttelnden Satz formuliert. Kurz nach der Ablehnung im Bürgerreferendum über Olympische Spiele 2024 in Hamburg postete er in den Sozialen Netzwerken: "Sport in Deutschland ist tot. Jetzt auch offiziell!"

Es ging um mehr als die Enttäuschung über das Ergebnis einer Abstimmung. "Mir geht es vor allem um die große Diskrepanz zwischen Fußball und allen anderen Sportarten. Für mich ist der Ausgang des Referendums ein deutliches Zeichen, dass es noch weiter in diese Richtung gehen wird", sagte er im Gespräch mit der "Zeit". "Denn gegen eine Fußball-EM im eigenen Land hat niemand etwas einzuwenden. Ich übrigens auch überhaupt nicht - im Gegenteil. Aber für alle anderen Sportarten heißt es: Kann, soll gerne stattfinden, aber nicht bei uns. Das zeigt auch die gerade gescheiterte Bewerbung um den Ryder Cup im Golf."

Kritik an der Dominanz des Fußballs wird lauter
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Kritik an der Dominanz des Fußballs wird lauter

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Am vergangenen Wochenende hat die Rückrunde der Fußball-Bundesliga begonnen. Und damit nimmt auch der ganze Rummel seinen Lauf. Fußball ist nicht nur ein Spiel. Es ist längst zu einem gesellschaftlichen Ereignis geworden. Menschen gehen zu Hunderttausenden in die Stadien der Republik und viele nicht mehr in die Kirche. Fußball ist der größte gemeinsame Nenner geworden. Ein idealer Stichwortgeber für jeden Smalltalk. Hast du das Tor von Müller gesehen? Das war doch abseits! Mit einem anderen Trainer würden die ganz bestimmt nicht da unten in der Tabelle stehen. So oder so ähnlich bietet der Fußball die ideale Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen, ohne große Ahnung haben zu müssen. Man muss sich noch einmal besonders gut einlesen, weil man eh von allen Seiten mit den Informationen rund um einen Spieltag beschallt wird.

Fußball hat viel auch mit Identifikation zu tun. Im Urlaub zeigen längst nicht mehr nur die vor dem ersten Sonnenbad schon gut gebräunten Reisenden Flagge und reservieren mit dem Handtuch in Vereinsfarben eine Liege. Fußballvereine sind Werbe- und Hoffnungsträger. Das alles macht den Sport so mächtig. Und weil das so ist, ist die mediale Präsenz so erdrückend. Regionalligapartien werden mittlerweile live im frei empfangbaren Fernsehen übertragen. Die öffentlich-rechtlichen Sender investieren Millionen, um sich Übertragungsrechte der Nationalmannschaft oder deutscher Teams in der Champions League zu sichern oder um wenigstens ein paar Schnipsel vom aktuellen Bundesligaspieltag zeigen zu dürfen. Sie machen es, weil sie es finanziell können, aber gewiss auch, weil sie sich damit quasi eine Garantie auf gute Quoten erkaufen.

Für alles andere ist weniger Platz da - allerdings auch nur dann, wenn es nicht in Konkurrenz zum Fußball steht. Ganz viel Wintersport am Samstagmorgen zum Beispiel. Wer glaubt aber ernsthaft, dass eine Darts-WM wie zum Jahreswechsel in London derart Beachtung fände, würde der Fußball hierzulande dann nicht gerade im Winterschlaf schlummern. Es gibt keinen Platz neben der dominierenden Sportart. Es gibt nur ein "unter ferner liefen", ausgenommen besondere Heldenmomente, die zum Märchen erkoren werden können wie die Auftritte der deutschen Handballer beim Gewinn der Weltmeisterschaft 2007 im eigenen Land. Oder der Vorstoß der Berliner Tennisspielerin Sabine Lisicki beim Grand-Slam-Turnier in Wimbledon bis ins Finale 2013.

Olympia-Befürworter in Hamburg ziehen lange Gesichter
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Katerstimmung bei Befürwortern in Hamburg

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Statt sich um die Optimierung ihres Produkts zu kümmern, sind Sportarten wie Handball, Basketball, Eishockey und Golf seit Jahren im Besonderen damit beschäftigt, sich schön zu rechnen, dass sie die Nummer zwei hinter Fußball seien. Dies ist aber schrecklich egal, weil der Sieger wie so oft im Leben fast alle Beachtung bekommt, und der Rest eben weitestgehend leer ausgeht.

Der Kreislauf schließt sich, wenn es um den Versuch geht, Geldgeber zu finden. Im Fußball ist mittlerweile so gut wie alles durchvermarktet. Vom Mannschaftsbus bis zur Stadionuhr gibt es keine Fläche, die nicht ein finanzstarker Sponsor mit seinem Logo ziert. Leichter kann man nicht die Herzen von Konsumenten gewinnen. Der FC Bayern München macht in Katar ein Trainingslager, weil es um einen Wirtschaftsmarkt geht - Menschenrechte spielen dabei keine Rolle.

In anderen Sportarten wäre man dagegen froh, wenigstens jemanden zu finden, der auf der Trikotbrust werben möchte. In Düsseldorf wurde Basketball und Handball noch vor nicht allzu langer Zeit in der Bundesliga gespielt. Doch es fanden sich selbst an einem wirtschaftlich so interessanten Standort keine Investoren.

Fußballvereine übernehmen sich gelegentlich finanziell, zu wenig Geld haben sie aber selten zur Verfügung.

(gic)
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