Andy Murray Oben angekommen

Paris/Düsseldorf · Als erster Brite führt Andy Murray ab heute die Tennis-Weltrangliste an. Noch vor einem halben Jahr schien eine Wachablösung von Novak Djokovic utopisch. Doch der Schotte avancierte seitdem zum Muster an Konstanz.

Tennis-Weltrangliste: Die besten Herren aus Deutschland und der Welt
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Die Tennis-Weltrangliste der Herren

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Foto: AP/Jason DeCrow

Der Brite an sich ist weit über die Grenzen des Inseldaseins für seine Wettleidenschaft bekannt. Nicht nur, aber vor allem im Sport gibt es kein noch so abwegiges Szenario, auf das die Briten nicht wetten können - und dann auch tatsächlich wetten. Doch die Geschichte vom waghalsigen Glücksritter, der Anfang Juni darauf setzte, dass der Schotte Andy Murray die Nummer eins der Tennis-Weltrangliste sein würde, ist noch nicht in die internationalen Schlagzeilen vorgedrungen. Wahrscheinlich war es selbst für Briten einfach ein zu utopisches Szenario, schließlich hatte der Serbe Novak Djokovic am 6. Juni als Nummer eins der Welt 16.950 Punkte auf dem Konto - 8035 Punkte mehr als Verfolger Murray. Aber was unmöglich schien, ist ab heute Realität: Murray ist die Nummer eins der Welt. Als erster Brite überhaupt.

"Es war harte Arbeit. Novak hat in der ersten Hälfte des Jahres noch unglaublich gespielt, ich musste daher sehr, sehr viele Spiele gewinnen", sagte Murray, nachdem er kampflos die Spitzenposition erklommen hatte. Kampflos, weil der Kanadier Milos Raonic am Abend vor dem Halbfinale des Turniers von Paris verletzungsbedingt absagen musste. "Es war schon ein bisschen komisch. Man wusste gar nicht, wie man reagieren sollte", erzählte Murray später der BBC über den Moment, als Raonic ihn informiert hatte. So gab es also keine Fotos vom 29-jährigen Schotten, der nach einem Sieg auf dem Tennisplatz überwältigt darniedersinkt. Es gab eben die britisch-rationale Einordnung des historischen Erfolgs. "Es ist schon schwierig, der Beste in einem Turnier über zwei Wochen zu sein. Aber nach zwölf Monaten ganz oben zu stehen, ist noch einmal etwas anderes", sagte Murray.

Dass Murray sich gestern im Finale von Paris gegen den US-Amerikaner John Isner mit 6:3, 6:7 (4:7), 6:4 durchsetzte, ging dabei fast schon unter. Er gewann ja zuletzt eh alles bei den Turnieren in Peking, Schanghai und Wien. Seit der Rückkehr von Ivan Lendl als Coach im Juni erreichte Murray eine Konstanz, die so nicht abzusehen war. Seine letzte Niederlage datiert von Anfang September, da verlor er im Davis Cup gegen den Argentinier Juan Martin del Potro. Ansonsten siegte Murray, und er siegte, und er siegte, und er sammelte munter und massig Weltranglistenpunkte, während der unverwüstlich scheinende Djokovic in den vergangenen Monaten in ein mentales Loch fiel und Punkte einbüßte. Unterm Strich dieser beiden gegenläufigen Entwicklungen steht nun also die Wachablösung. "Ich habe viel Respekt für das, was Andy erreicht hat", sagte Djokovic in Paris. Da war er gerade im Viertelfinale gescheitert.

Murray ist der 26. Spieler, der die 1973 vom Weltverband ATP eingeführte Weltrangliste anführt, in die die Resultate der jeweils zurückliegenden 52 Wochen einfließen. Djokovic stand zuletzt 122 Wochen am Stück ganz oben. Das ist lang, aber bei Weitem nicht der Rekord. Den hält der Schweizer Roger Federer mit 237 Wochen am Stück. Als einziger Deutscher war Boris Becker mal die Nummer eins, 1991 für insgesamt zwölf Wochen.

Für Murray ist die statistische Bestätigung seiner zurückliegenden Erfolge der nächste Baustein am Legendenstatus auf der Insel. Wimbledon hat er bereits zweimal gewonnen, dazu zuletzt zweimal in Folge das olympische Turnier. Und so diskutieren sie in Großbritannien aktuell auch schon eifrig, ob Murray nicht der größte Sportler ist, den man in den vergangenen zehn Jahren hervorgebracht hat. Und wo seine Leistung einzuordnen ist im Vergleich mit Box-Weltmeister Lennox Lewis, Golf-Ikone Nick Faldo oder Leichtathletik-Star Mo Farah.

Der Ausgang der Diskussion ist offen, aber womöglich lässt sich schon ab heute darauf wetten, wie lange Murray die Nummer eins der Welt bleibt. Wahrscheinlich sogar.

(klü)
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