Australian Open in Melbourne Angelique Kerber — die Unterschätzte

Melbourne/Düsseldorf · Zum ersten Mal steht Angelique Kerber im Finale eines Grand-Slam-Turniers. Morgen trifft sie in Melbourne auf die Weltranglistenerste Serena Williams. Andere im deutschen Damentennis haben stets mehr Beachtung bekommen.

Der Weg von Kerber zum Titel
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Foto: ap, MDB KAJ

Es kommt nicht oft vor, dass Angelique Kerber Einblicke in ihr Seelenleben gewährt. Sie ist Tennisspielerin. Viele ihrer Arbeitskolleginnen sind zu allererst Entertainerinnen. Kerber, 28, kann wenig damit anfangen, sich zu inszenieren. "Mir liegt es einfach nicht, eine Rolle zu spielen", hat sie einmal unserer Redaktion gesagt. "Natürlich ist es komisch, wenn du sportlich sehr erfolgreich bist und andere mehr Beachtung finden und in Shows eingeladen werden."

Sie musste dazu nicht Namen sagen. Andrea Petkovic und Sabine Lisicki sind ihr in der öffentlichen Wahrnehmung enteilt, weil sie es perfekt beherrschen, sich zu vermarkten. Die forsche Petkovic, die glamouröse Lisicki. Petkovic ist ständig mit Beichten in den Medien präsent, warum sie die Lust am Spiel verloren habe - und sich nun wieder herankämpfen will. Wimbledon-Finalistin Lisicki ist durch ihre Beziehung zu Comedian Oliver Pocher zum Liebling der Klatschblätter geworden. So viel Einsatz zahlt sich aus - beide sind mit zahlreichen Werbeverträgen ausgestattet.

Kerber ist einfach Kerber. Das mag oft nicht ganz so spektakulär sein. Sportlich ist sie Petkovic und Lisicki schon lange enteilt. Und das nicht erst durch ihren Einzug ins Finale des Grand-Slam-Turniers in Melbourne. In Australien stand zuletzt vor 20 Jahren eine deutsche Spielerin im Endspiel - Überraschung: es war nicht Steffi Graf, sondern Anke Huber, die gegen Monica Seles 4:6, 1:6 unterlag. Kerber greift zum ersten Mal nach dem Titel bei einem der vier großen Turniere. Morgen trifft die Nummer sechs der Weltrangliste (9.30 Uhr/Eurosport) auf Titelverteidigerin Serena Williams (USA/Nr. 1). "Der Traum geht weiter. Die Reise ist noch nicht zu Ende. Wenn man in einem Finale steht, will man es gewinnen", sagt Kerber nach dem 7:5, 6:2 im Halbfinale gegen die Engländerin Johanna Konta. Die Kielerin will ihre Chance nutzen, und sie weiß: "Serena wird Druck spüren."

Ausgerechnet Kerber spricht von Druck. Es gibt viele, die haben ihr das Talent bescheinigt, schon viel früher in der Branche eine dominierende Rolle zu spielen. Doch sie hatte in den entscheidenden Momenten nie ihre Nerven im Griff. Immer wieder war sie selbst ihr größter Gegner. So erklären sich Erstrundenniederlagen wie im vergangenen Jahr in Melbourne und längere Phasen der Verunsicherung, als sie an sich zweifelte. Auch im Vorfeld des ersten Grand-Slam-Turniers dieses Jahres soll sie bei Weggefährten über ihre Verunsicherung geklagt haben. Doch irgendwo auf der Reise bis ins Endspiel muss Kerber zu mehr Gelassenheit gefunden haben. So hat sie angekündigt, bei einem Sieg, entlohnt mit umgerechnet 2,2 Millionen Euro, dann als neue Nummer zwei der Weltrangliste in den nahegelegenen Yarra-River zu springen — wie es 1992 schon Jim Courier (USA) nach seinem Triumph im Melbourne Park getan hatte.

Grüße von Steffi

Alle blicken nun auf Kerber. Die große Stefanie Graf macht das schon seit einer ganzen Weile. Immer wieder hat sie versucht, ihr Selbstvertrauen zu vermitteln. Dementsprechend verfolgt sie den Weg intensiv. "Ich freue mich riesig, lieben Gruß aus Las Vegas" — schrieb sie nun in einer Mail an Kerber.

Auch Barbara Rittner, Nationaltrainerin der Fed-Cup-Auswahl, hat immer an Kerber geglaubt. "Das war im Halbfinale mental sicher eine der schwierigsten Aufgaben in ihrem Tennisleben. Auch diese Situation hat sie gemeistert", sagt Rittner unserer Redaktion. "Gegen Serena hat sie nun absolut nichts zu verlieren. Serena spielt bisher überzeugend stark, aber wer weiß? Auch sie ist nur ein Mensch. Gegen die aktuelle Nummer eins und eine der besten Spielerinnen aller Zeiten in einem Grand-Slam-Finale zu stehen, da geht ein Traum in Erfüllung - und Angie hat Serena ja auch schon geschlagen." Das ist allerdings schon vier Jahre her - im Viertelfinale von Cincinnati (6:4, 6:4).

Kerber ist in Bremen geboren. Ein paar Jahre später zog die Familie nach Kiel. Vater Slawek, ein gebürtiger Pole, bekam ein Angebot als Trainer beim schleswig-holsteinischen Tennisverband. Er war auch in den ersten Jahren ihr Betreuer. Die Erfolge stellten sich schnell ein. Angelique geriet schnell in den Fokus des DTB und wurde in die Leistungsklasse aufgenommen. Seither zählt Rittner zu ihren engsten Förderern. Es sah lange nicht danach aus, dass ihr tatsächlich der Sprung in den Profibereich gelingen würde. Nach ihrem Realschulabschluss 2003 dauerte es drei Jahre, bis sie in das Hauptfeld eines der großen Damenturniere gelangte.

Es gab öfters den Moment, an dem sie sich die Frage stellte, ob das alles noch Sinn macht. Sie entschied sich immer für noch mehr Arbeit, noch mehr Einsatz. Seit ein paar Jahren trainiert sie in der Tennisakademie von Rainer Schüttler und Alex Waske. Nun will sie sich mit dem Sieg in Australien krönen. Man wünscht es ihr.

(gic)
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