Retro-Tennis von Zverev Ein Hauch von Becker und Edberg

Düsseldorf/Melbourne · Mit einer Taktik, die im Tennis schon fast als ausgestorben galt, zieht Mischa Zverev sensationell ins Viertelfinale der Australian Open ein. Dort wartet nun Roger Federer, der selbst ein kleines Revival erlebt.

 Mischa Zverev schlägt einen seiner unzähligen Volleys im Match gegen Andy Murray.

Mischa Zverev schlägt einen seiner unzähligen Volleys im Match gegen Andy Murray.

Foto: ap

Mit Serve-and-Volley entzauberte Zverev im Achtelfinale den Weltranglisten-Ersten Andy Murray. Unglaubliche 118 Mal kam der 29-jährige Hamburger gegen den gleichalten Schotten ans Netz. Tennis aus einer anderen Zeit, als die Duelle im Finale der großen Turniere noch Boris Becker gegen Stefan Edberg hießen und nicht Murray gegen Novak Djokovic.

"Es hat mich ein bisschen an meine eigene Zeit erinnert, ich habe ja genauso offensiv gespielt", sagte Becker, 1996 letzter deutscher Sieger in Melbourne, über Zverevs Offensiv-Feuerwerk im Spiel gegen Murray: "Es ist vielleicht eine Art Ruf an die jungen Spieler, nicht immer an der Grundlinie zu kleben." Der legendäre US-Amerikaner John McEnroe, der in Melbourne als Experte für das amerikanische Fernsehen arbeitet, gratulierterte Zverev unmittelbar nach dem 7:5, 5:7, 6:2, 6:4 über den britischen Topfavoriten im Kabinentrakt persönlich und war begeistert. "Das war die alte Schule. Du bist mein Lieblingsspieler!"

Mit seiner Taktik schaffte es Zverev, dass Murray nicht sein gefürchtetes Spiel aufziehen konnte, das auf einer unglaublichen Konstanz in den Ballwechseln aufbaut. Murray spielte vielleicht nicht sein bestes Tennis, aber keineswegs schlecht. Der Wimbledon-Sieger schlug bei nur 28 unerzwungenen Fehlern starke 71 direkte Gewinnschläge. Ein Top-Wert. Doch auf der anderen Seite stand ein Gegner, der die Ballwechsel ungewohnt kurz hielt und Murray immer wieder vor neue Aufgaben stellte.

Fans freuen sich über Abwechslung

Viele Tennis-Fans hatten nach einer solchen Rückkehr des Serve-and-Volley gelechzt. In den einschlägigen Foren stellten sich die Liebhaber des Sports nach Zverevs Sieg bereits die Frage, ob sich die Taktik, direkt nach dem Aufschlag ans Netz zu kommen, nun wieder vermehrt durchsetzen wird. In Zeiten, in denen die Schnelligkeits-Unterschiede der verschiedenen Plätze immer mehr reduziert worden sind und Spieler wie Murray, Djokovic und Rafael Nadal als Grundlinienspieler auch auf Rasen und Hartplatz Erfolge feiern, ist jede Abwechslung willkommen.

Schon im Vorfeld der Australian Open war spekuliert worden, dass die Plätze in Melbourne im Vergleich zu den Vorjahren diesmal wieder etwas schneller geworden sind. Zverevs Erfolg scheint das zu bestätigen. Zumal er nicht der einzige Spieler mit einem Drang zum Netz ist, der in Melbourne erfolgreich ist. Auch Zverevs nächster Gegner dürfte über die Verhältnisse glücklich sein.

Mischa Zverev – Spätzünder mit Old-School-Taktik
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Das ist Mischa Zverev

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Foto: rtr, DG/MJB

Es ist kein geringerer als Roger Federer, der nach sechsmonatiger Verletzungspause wie aus einem Jungbrunnen zurückgekehrt scheint und auf seinem Weg ins Viertelfinale schon zwei Top-Ten-Spieler ausgeschaltet hat. Federer ist kein klassischer Serve-and-Volley-Spieler wie Zverev, doch auch der Schweizer sucht immer wieder den Weg ans Netz, um die Punkte zu verkürzen. Und er spielt, als wäre er nie weg gewesen. Mit flinken Beinen, Eleganz und viel Variation.

In Halle demütigte Federer Zverev mit "Brille"

Wenn Zverev seinen überraschenden Lauf in Melbourne fortsetzen möchte, muss er die nächste Mammutaufgabe lösen. "Er fühlt sich wahrscheinlich besser, als er sich jemals auf dem Platz gefühlt hat", sagt Federer über seinen kommenden Gegner. "Ich habe schon zweimal gegen ihn gespielt. Einmal auf Gras, einmal auf Sand, aber noch nie auf Hartplatz", berichtete der 35-Jährige. Vor allem an das Spiel auf Rasen hat Zverev schmerzhafte Erinnerungen. Federer verpasste ihm 2013 in Halle die Demütigung eines 6:0, 6:0. Doch der Zverev von damals ist mit dem von Melbourne nicht zu vergleichen.

"Federer ist mein Vorbild", sagte Zverev am Montag. "Wenn seine Spiele im Fernsehen übertragen werden, lasse ich alles stehen und liegen, um zuzuschauen. Beim Gedanken daran, gegen ihn zu spielen, bekomme ich Gänsehaut." Sein eigenes Comeback von Position 1067 im Frühjahr 2015 bis zu seinem Melbourne-Märchen schreibt Zverev der Inspiration durch seinen jüngeren Bruder Alexander zu. Der 19-Jährige habe ihn im Training immer wieder gepusht und ihm den Glauben an sich selbst zurückgegeben. Doch auch das Supertalent kann vom älteren Bruder noch viel lernen. Bei seinem Achtelfinal-Aus gegen Rafael Nadal spielte "Sascha" zu Beginn sehr aggressiv, suchte häufig den Weg ans Netz, verlor nach ein paar einfachen Volleyfehlern aber den Mut und blieb lieber an der Grundlinie. Eine Taktik, die gegen Nadal mit Krämpfen im fünften Satz und der Niederlage bestraft wurde.

Apropos Nadal. Der Großteil der Fans in Australien wünscht sich nun das Traumfinale ziwschen Federer und dem Spanier, das es bei einem Grand-Slam-Turnier zuletzt 2011 bei den French Open gegeben hatte. Auch hier könnte es also ein Revival der "guten alten Zeit" geben. Mischa Zverev wird versuchen, es zu verhindern.

(areh)
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