Als Grand-Slam-Champion nach Paris Kerber und ihre Sternstunde — so fern und doch so nah

Paris · Angelique Kerber steht bei den am Sonntag beginnenden French Open unter Druck. Paris ist für die Australian-Open-Siegerin die erste große Bewährungsprobe seit ihrer Sternstunde Down Under.

Angelique Kerber feiert im schicken Kleid und mit Champagner ihren Triumph
32 Bilder

Kerber feiert im schicken Kleid und mit Champagner

32 Bilder
Foto: afp, fk

16.950 Kilometer - wenn Angelique Kerber in diesen Tagen im Stade Roland Garros von Paris unterwegs ist, sieht sie es schwarz auf weiß. Auf einem nach Süd-Osten ausgerichteten Pfeil steht fein-säuberlich die Distanz nach Melbourne geschrieben. So weit weg - aber für Kerber vor Beginn der French Open (ab Sonntag) doch so nah und präsent.

Rund dreieinhalb Monate nach ihrer Sternstunde Down Under spürt die 28-Jährige vor ihrer ersten ganz großen Bewährungsprobe als Australian-Open-Siegerin ständig die gewachsene Erwartungshaltung. Vor allen Dingen die der anderen. Aber auch die eigene.

Es sind die Geister, die sie durch ihren ersten Grand-Slam-Coup Ende Januar rief. "Ker-Boom" und so. "Von so einer Situation träumst du doch eigentlich dein Leben lang. Das Gefühl von Melbourne hat sich in mein Herz eingebrannt", sagte Kerber dem SID. Wohlwissend, dass die Medaille auch eine Kehrseite hat: "Natürlich spüre ich den Druck. Jede Gegnerin will dich jetzt erst recht schlagen." Aber der Triumph von Australien habe sie "selbstbewusster und auch irgendwie ruhiger" gemacht.

Man merkt das. Kerber hat eine andere Aura, wirkt gereift. Was nicht heißt, dass sie komplett aus ihrem Korsett ausbricht, das ihr immer noch Halt gibt. Konkrete Ziele für ihr erstes Major-Turnier nach dem Aufstieg zum "Weltstar", wie es das Magazin Stern formulierte, nennt die Weltranglistendritte nicht. "Ich möchte nicht ergebnisorientiert denken. Weil ich weiß: Das kann nur schiefgehen", sagte Kerber.

Überbordendes Selbstvertrauen, das wird bei einem selbstkritischen Charakter wie sie einer ist niemals zu finden sein. Gänzlich im Gleichgewicht befindet sich Kerber nach ihrem Geniestreich in der Rod-Laver-Arena Ende Januar gegen Branchenführerin Serena Williams (USA) noch nicht wieder. Dem Turniersieg in Stuttgart, den Halbfinal-Teilnahmen in Miami und Charleston sowie starken Leistungen im Fed Cup stehen die Auftaktpleiten in Doha, Indian Wells, Madrid und Rom gegenüber.

Die vielen Termine außerhalb des Courts, die mediale Aufmerksamkeit hatte sich die unermüdliche Kämpferin redlich verdient: "Ich habe das genossen. Aber natürlich hat es auch Kraft gekostet, weil es neu für mich war", sagte Kerber, die sogar auf den Titelseiten der Boulevard-Magazine landete.

Roger Federer jedenfalls hat Verständnis dafür, dass die Leistungen der Linkshänderin derzeit wechselhaft sind. "Es ist überhaupt nicht schlimm, dass Angie nicht einfach weitersiegt", sagte der Grand-Slam-Rekordsieger der "Sport Bild" und lobte: "Ich halte sehr viel von ihr."

Auch für die Diplom-Psychologin Eva Pfaff kommen die durchwachsenen Ergebnisse nach Kerbers ganz persönlicher Mondlandung nicht überraschend. "Diese Aufgabe, sich nach so einem Erfolg neu zu orientieren, sich neu zu erfinden, braucht Zeit. Mit dem gewohnten Alltag von einst hat das nichts mehr zu tun", sagte die ehemalige Weltranglisten-17. Pfaff dem SID.

Ihre Teilnahme am Nürnberger Versicherungscup in dieser Woche hatte Kerber wegen einer Schulterverletzung abgesagt. Es blieb Zeit, den Akku aufzuladen. Denn auch in Paris wird die deutsche Nummer eins als frischgebackener Major-Champion im Fokus stehen. Eine Ehre, aber auch Stress für Kerber. Die Distanz zwischen purem Glück und großem Bewährungsdruck, sie beträgt ab Sonntag exakt 16.950 Kilometer.

(sid)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort