Nach Wochen des Wahnsinns Kerber sehnt sich nach Normalität - und der Rückkehr auf den Platz

Doha · Für Angelique Kerber beginnt gut drei Wochen nach ihrem Australian-Open-Triumph wieder der Tour-Alltag. In Doha ist sie topgesetzt - und wünscht sich nach dem Trubel ein bisschen Ruhe.

Angelique Kerber – erste Wimbledon-Siegerin seit Steffi Graf
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Das ist Angelique Kerber

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Foto: AFP/GLYN KIRK

Angelique Kerber schien die Ruhe unter der Morgensonne von Doha zu genießen. Als die Australian-Open-Siegerin auf dem Centre Court im ultramodernen Khalifa International Tennis Complex am Montag ihre Trainingseinheit absolvierte, war hoch droben auf den Rängen nur eine Putzkolonne unterwegs. Die drei Männer mit den witzigen Staubwedeln verrichteten ihre Arbeit akribisch und mucksmäuschenstill - riskierten aber doch den einen oder anderen verstohlenen Blick in Richtung Kerber.

Für den neuen Tennisstar war diese Idylle einen Tag vor ihrem Auftaktmatch gegen Saisai Zheng (China) und nach den Wochen des Wahnsinns mit einem wahren Medien-Marathon fast schon ein ungewohntes Gefühl. Kerber hat den Rummel um ihre Person und die bunten Boulevard-Geschichten über sich genossen, doch inzwischen sehnt sie sich nach Normalität - und der Rückkehr auf den Platz. "Für mich ist es nach all dem jetzt wichtig, fokussiert zu bleiben und mich weiter zu verbessern. Der Erfolg von Melbourne war ein Ansporn, ich werde weiter hart arbeiten", sagte die deutsche Nummer eins dem Sport-Informations-Dienst (SID).

Die Gefahr, dass die bodenständige Linkshänderin abhebt, besteht eigentlich nicht. "Ich bin immer noch dieselbe Person, die ich schon vor den Australian Open war", meinte Kerber und versprach augenzwinkernd: "Die Angie bleibt die Angie."

Geändert hat sich seit dem verwandelten Matchball gegen Gigantin Serena Williams (USA) am 30. Januar in der Rod-Laver-Arena trotzdem einiges. Viele Leute erkennen sie jetzt - am Flughafen, auf der Straße, beim Shoppen. Auch in Katar war Kerber bereits am Hamad Airport mit Blumen begrüßt worden. Etliche Fotos ihrer Ankunft wurden vom Veranstalter der Qatar Total Open gleich werbewirksam versendet.

Am Eingang zur Anlage vor der beeindruckenden Skyline von Doha hängt ein riesiges Plakat mit dem Konterfei der ersten deutsche Major-Gewinnerin seit Steffi Graf 1999. Das tägliche Brot im Leben einer frischgebackenen Grand-Slam-Siegerin. Schaut man genauer hin, sind der Weltranglistenzweiten die Strapazen gut drei Wochen nach ihrer Sternstunde "Down Under" in der Tat noch ein wenig anzusehen. "Müde? Hm, vielleicht ein bisschen", berichtete die 28-Jährige, hat aber gleich wieder dieses Strahlen im Gesicht: "Ich hoffe, es kommen noch mehr große Siege."

Schon bei ihrem Fed-Cup-Einsatz wenige Tage nach dem Australien-Triumph hatte sich gezeigt, dass Kerber eine besondere Aura, eine neue Leichtigkeit umgibt. "Angie strahlt eine unglaubliche Souveränität und ein großes Selbstvertrauen aus. Ich glaube schon, dass dieser tolle Erfolg von Melbourne sie verändert hat", sagte Bundestrainerin Barbara Rittner: "Das kann ihr Jahr werden."

Etliche Marketing-Experten prophezeien Kerber ebenfalls eine rosige Zukunft. Gerade nach den Rücktritten von Rekord-Biathletin Magdalena Neuner und Ski-Ass Maria Höfl-Riesch ist die Position des weiblichen Werbelieblings in Deutschland praktisch vakant. Raphael Brinkert, Mitinhaber der Agentur Jung von Matt/sports, sagte dem Tennis Magazin: "Die Entscheidung, ob Angelique Kerber ein 'Big Player' wird, beeinflusst sie in erster Linie selbst. Hierfür werden die nächsten Wochen und Monate ausschlaggebend sein: Durch Halbfinal- und Finalspiele bei großen Turnieren."

Kerber weiß um den neuen, gewachsenen Druck. Doch mit dem Durchbruch von Melbourne ist spürbar eine Last von ihr abgefallen. Ein tonnenschwerer Rucksack, der gefüllt war mit eigenen Zweifeln und jenen vieler vermeintlicher Experten, die ihr den ganz großen Coup nicht zugetraut hatten. Es spricht für Kerber, dass sie diesbezüglich keine Genugtuung verspürt: "Eher Stolz auf meine Leistung."

(old/sid)
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