Erster Wimbledon-Sieg vor 30 Jahren Boris Becker — ein Leben wie eine Seifenoper

Düsseldorf · Es ist gar nicht so einfach, Boris Becker zu sein. Findet zumindest Boris Becker. Er macht diesen Job nun schon seit 47 Jahren. Er muss es also am besten wissen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse von ihm lautet: Die anderen sind schuld. Immer. Er glaubt daran. Immerhin.

Boris Beckers Sternstunde in Wimbledon
10 Bilder

Boris Beckers Sternstunde in Wimbledon

10 Bilder
Foto: AP

Becker hatte die Möglichkeit, ein ganz großer Sportstar zu bleiben. Eine Lichtgestalt. Einer wie Franz Beckenbauer. Becker hat sich allerdings für die Ausfahrt "Lothar Matthäus" entschieden. Er hat sich fortan nicht darüber definiert, was er mal auf dem Platz war. Er hechtete nur noch von Beziehung zu Beziehung, stolperte von einem Fettnäpfchen ins nächste, und eine ganze Nation schaute erst erschrocken, später peinlich berührt zu, wie der einstige Held immer mehr zu einer öffentlichen Lachnummer wurde. Es war ein Leben wie in einer besonders schmierigen Seifenoper.

In diesen Tagen von Wimbledon kann man den Eindruck gewinnen, dass er noch gerade so die Kurve bekommen hat. Für dieses Wendemanöver trägt Becker allerdings nur bedingt die Verantwortung. Der Serbe Novak Djokovic hat ihn Ende 2013 als Trainer verpflichtet. Niki Pilic, einst als Davis-Cup-Kapitän mit Deutschland zwei Mal erfolgreich (1988 und 1989), ätzte, Becker könne doch Djokovic überhaupt nichts beibringen.

Boris Becker -"Vielleicht war es Magie" - Pressestimmen von 1985
22 Bilder

Pressestimmen zu Beckers Wimbledon-Triumph vor 30 Jahren

22 Bilder

Der Kroate sollte sich irren. Viele haben sich geirrt. Denn Becker hat durch seinen festen Job endlich wieder zu sich gefunden. Von der Witzfigur zu einem anerkannten Fachmann. Djokovic hat durch Becker vor allem Konstanz gelernt. Die bisherige Bilanz: zwei Grand-Slam-Titel (Wimbledon und Australian Open) und die Rückkehr auf Platz eins in der Weltrangliste. Der größte Erfolg für Becker in dieser Zeit: er konnte etwas Ruhe in sein Leben bringen.

1999 ist Becker als Profisportler zurückgetreten - sechs Wochen vor Steffi Graf. Der große Unterschied: Sie hatte einen Plan für das Leben danach. Graf hat mit Andre Agassi eine Familie gegründet, das Paar residiert mit zwei Kindern in Las Vegas. Sie ist für ein paar ausgewählte weltweite Marken Repräsentantin, hat eine eigene Stiftung, ist als Geschäftsfrau erfolgreich und hält sich ansonsten mit Beiträgen zur Lage des Tennissports und ihrem Leben wohltuend zurück.

Becker hat sich in der Welt außerhalb des Platzes deutlich schwerer getan. Er ist als Steuersünder verurteilt worden. Er hat Geschäfte in den Sand gesetzt. Er hat bei TV-Shows mitgemacht, die seinem Image nicht zuträglich waren und er hat sich für einen Werbeträger an den Pokertisch gesetzt. Er versuchte sich kurz als Förderer des deutschen Tennis. Vergeblich.

Boris Becker verfolgt Djokovic-Match mit ernster Miene
8 Bilder

Becker verfolgt Djokovic-Match mit ernster Miene

8 Bilder

Die Trennung von seiner ersten Ehefrau Barbara (48), der Mutter seiner Söhne Noah Gabriel (21) und Elias Balthasar (15), gipfelte 2001 in einem Scheidungskrieg. Ausgelöst wurde er durch einen Seitensprung mit der Russin Angela Ermakowa, am Abend nach seinem letzten Match 1999 in Wimbledon. Tochter Anna ist mittlerweile 15 und arbeitet als Model. Von August bis November 2008 war er mit Alessandra Meyer-Wölden, der Tochter seines 1997 verstorbenen Managers, verlobt.

Ein paar Affären später heißt seine Gegenwart Sharlely Kerssenberg, die er 2009 heiratete. Sohn Amadeus Benedict Edley Luis ist fünf Jahre alt. "Ich", hat Becker neulich gesagt, "habe endlich meinen Ruhepunkt gefunden." Seine Frau spielt mit. Auch den ständigen Doppelpass mit dem Boulevard. So ist auch ihr Spitzname entstanden. Weil einem Reporter der "Bild" Sharlely zu kompliziert erschien, entschied sich Becker flugs für einen medientauglicheren Spitznamen. Bis heute nennt er seine Gattin Lilly.

Nun also wieder Wimbledon. Sein Schützling Djokovic (28) zählt zu den großen Favoriten beim Rasenturnier im All England Club. Der Center Court ist noch immer das Wohnzimmer von Becker. "Bumm-Bumm-Boris" schreitet indes nur noch mit gemächlichem Schritt über die Anlage. Hüften und Sprunggelenke sind als Folgen seiner glanzvollen Karriere total zerstört. Becker lebt bereits seit Jahren unweit der Tennisanlage im Londoner Stadtteil. Und er erwägt sogar, irgendwann den britischen Pass zu beantragen. "Ohne Wimbledon", hat Becker selbst einmal gesagt, "wäre ich wahrscheinlich ein besserer Tennisspieler geworden. Aber dieser Ort ist zu meiner Heimat geworden. Hier fühle ich mich wohl."

An einem solchen Ort tatsächlich heimisch zu werden, dürfte der wohl wertvollste Sieg in seinem Leben sein.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort