NBA-Rekordjäger Curry wandelt auf Jordans Spuren

Düsseldorf · NBA-Titelverteidiger Golden State spielt eine der besten Basketball-Saisons aller Zeiten. Die Truppe um MVP Stephen Curry ist auf gutem Weg, den Ewigkeitsrekord von Michael Jordans Chicago Bulls aus dem Jahr 1995/96 zu brechen.

NBA: Stephen Curry im Porträt
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Das ist Stephen Curry

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Foto: AP/Mary Altaffer

Im Basketball gibt es zwei magische Zahlen: 70 und 23.

Die 70 steht für die 70-Siege-Schallmauer in einer Saison, die zermürbende 82 Spiele lang ist. Sie geht von Ende Oktober bis Anfang April. Abend für Abend, mit bis zu vier Spielen in einer Woche und anstrengenden Auswärtstrips an der Ost- und Westküste. Kaum möglich, 70 Siege einzufahren. Vom Stellenwert ist die 70 mit der 90-Punkte-Marke in der Fußball-Bundesliga zu vergleichen.

Nur einmal in der langen NBA-Historie gelang es einem Team, diese Marke zu durchbrechen. Ein gewisser Michael Jordan, mit der Rückennummer 23, führte in der Saison 1995/96 die Chicago Bulls zu sagenhaften 72 Siegen bei 10 Niederlagen. Ein Rekord für die Ewigkeit. Dachten Basketballfans und -experten. Jordan befand sich damals auf dem Höhepunkt seines Schaffens. Nach seiner Baseball-Pause und dem Comeback in der Saison zuvor war er wieder ein Basketballspieler in Perfektion. Nicht zu stoppen. Ein lebendiger Superlativ. Von 1996 bis 1998 führte er seine Bulls zum zweiten Titel-Hattrick. Jordan gilt bis heute als bester Basketballer aller Zeiten.

Im Jahr 2016 nun machen sich Liga-MVP Stephen Curry und die Golden State Warriors daran, diese Marke zu knacken. Aktuell liegt das Team aus Oakland auf Rekordkurs und mit einer Traumbilanz von 53 Siegen und nur fünf Niederlagen unangefochten an der NBA-Spitze. Schon der Saisonstart brach den ersten Rekord. Die NBA-Champions starteten direkt im sechsten Gang und mit 24 Siegen in Folge — so viele Siege zu Beginn gab es noch nie. Das Tempo blieb hoch: Noch nie zuvor erreichte ein Team so schnell 50 Siege und am Ende der Spielrunde könnte der ultimative Bulls-Rekord fallen.

Viele Punkte, viele Vorlagen, hohes Tempo

Die Warriors werfen mit 115,3 Punkten im Schnitt die mit Abstand meisten Punkte in dieser Saison. Mit ihren guten Schützen wie Curry und Klay Thompson weisen sie die beste Dreierquote aller Teams auf, dazu die zweitbeste Feldwurfquote. Selbstverständlich hat kein Team in der NBA-Geschichte bisher so viele Dreier pro Spiel getroffen wie Golden State (12,9). Die Warriors sind im wahrsten Sinne ein Team, sie fabrizieren kein Ego-Gezocke, sondern spielen nebenbei die meisten Assists der Liga (29,1; Bulls: 24,8). Das ist der beste Wert seit 24 Jahren. Die überragende Offensive ist gepaart mit einer der besten Defensive der Liga.

Die Warriors spielen schnell und erzielen dadurch mehr Punkte als die Rekord-Bulls, die vor 20 Jahren auf 105,2 Punkte im Schnitt kamen (Bestwert 95/96). Sowohl aus dem Feld als auch von der Dreierlinie treffen die Warriors etwas besser als die Bulls. Anführer der Bulls 1996 war Jordan, der eine weitere Fabel-Saison auflegte: In 37,7 Minuten erzielte der damals 32-Jährige 30,4 Punkte, 6,6 Rebounds, 4,3 Assists und 2,2 Steals. Seine Wurfquoten: Starke 49,5 Prozent aus dem Feld und 42,7 Prozent hinter der Dreierlinie. Doch auch Golden States Leader Curry muss sich hinter diese Zahlen nicht verstecken. Allein die Fakten bringen ihn in jordaneske Sphären.

Curry spielt in einer anderen Liga

Curry ist ein Mensch gewordener "Cheat Code", ein programmierter Vorteil aus einem Computerspiel. Er sieht zwar relativ normal aus (1,91 Meter, 86 Kilogramm), aber Currys Zahlen sind das Gegenteil von normal. Sie scheinen eher aus einer anderen Basketballwelt zu stammen.

Der Aufbauspieler kommt auf derzeit 30,7 Punkte, 6.6 Assists, 5,3 Rebounds sowie 2,1 Steals. In "nur" 33,9 Minuten. Kein NBA-Spieler zuvor hat in so "wenig" Spielzeit so viele Punkte gesammelt. Seine Wurfquoten bringen ihn in den elitären 50-45-90-Klub: Seine Feldwurfquote liegt bei 51,5 Prozent, er trifft 46,8 Prozent von der Dreierlinie und 90,8 Prozent der Freiwürfe. Nur zwei andere Spieler in der Geschichte brachten diese guten Quoten über eine gesamte Saison. Auf 36 Minuten berechnet sind die Zahlen von Curry noch etwas besser als Jordans im Jahr 1996 (Curry: 32,6 Punkte, Jordan 29 Punkte). Auch auf 100 Ballbesitze hochgerechnet hat er knapp die Nase vorne (Curry: 43,5 Punkte, 9,4 Assists, 7,5 Rebounds; Jordan: 42,5 Punkte, 6 Assists, 9,3 Rebounds).

Curry ist einer der besten Werfer aller Zeiten — möglicherweise jetzt schon der beste. Noch nie zuvor ballerte ein NBA-Spieler so viele Dreipunktwürfe ins gegnerische Netz. Curry ist eine Wurfmaschine, die von keiner Defensive dieser Welt zu stoppen ist. Sein Wurf ist unglaublich schnell und auch noch von weit außerhalb der Dreierlinie akkurat. Aus über 9 Metern Entfernung (Die NBA-Dreierlinie liegt bei 7,24 Metern) hat er diese Saison 11 von 22 Dreier (50 Prozent) getroffen. Der Rest der Liga: 53 von 669 (7,9 Prozent).

Warriors-Coach Steve Kerr war 1996 Teil des legendären Teams der Chicago Bulls. Kein Wunder, dass er häufig mit den Vergleichen konfrontiert wird: "Jordan spielte mit Wut im Bauch, Steph spielt mit Freude. Deswegen sieht man es bei ihm nicht unbedingt. In seinem Inneren ist Steph aber ein Killer."

Rekorde, Rekorde, Rekorde

Am 25. Februar stellte "Killer" Curry mit einem erfolgreichen Dreier gegen die Orlando Magic einen weiteren Rekord auf. Er erzielte in dieser Nacht nun in 128 Spielen in Folge mindestens einen Dreier. Eine Ende ist nicht in Sicht. In der Partie gegen die Oklahoma City Thunder in der Nacht von Samstag auf Sonntag purzelten gleich vier Rekorde und Curry brachte mit einem sehenswerten Game-Winner aus zwölf Metern die Sozialen Netzwerke in kollektive Aufruhr. Mit dem Sieg sicherten sich die Warriors bereits Ende Februar einen Play-off-Ticket — nie zuvor gelang einem NBA-Team dies so früh in der Saison. Curry erzielte in zwei aufeinander folgenden Spielen mindestens zehn Dreier: neuer Rekord. Die zwölf Dreier in einem Spiel stellten ebenfalls einen Bestwert ein. Dazu pulverisierte Curry schon jetzt den Rekord der erfolgreich verwandelten Dreier in einer Saison (286). Der vorherige Rekordinhaber: Natürlich Curry selbst. Im Schnitt nagelt er 5,1 Dreier pro Spiel.

Ein weiterer Kennwert für das historische Ausmaß der Curry-Saison ist der Spieler-Effizienz-Wert PER, der alle wichtigen Spielerstatistiken einbezieht und einen durchschnittlichen Spieler mit dem Wert 15 auszeichnet. Hier liegt mit Curry 32,9 deutlich auf Rekordkurs. Die beste abgeschlossene Saison bisher erreichte NBA-Legende Wilt Chamberlain mit 31,8.

Ähnlich wie Jordan kann auch Curry nicht alleine so viele Spiele gewinnen. Jordan konnte sich auf seinen kongenialen Partner Scottie Pippen und Rebound-Monster Dennis Rodman sowie passende Rollenspieler wie Curry-Coach Kerr verlassen. Die Warriors sind ebenfalls eines der am besten zusammengestellten Teams der Liga: Curry und Thompson sind zwei der besten Werfer aller Zeiten, Andre Iguodala ein Defensivspezialist, Draymond Green ein Allrounder, der als langer Spieler auch von außen trifft. Dazu kommen erstklassige Ergänzungsspieler wie Andrew Bogut oder Harrison Barnes.

James und Nowitzki feiern Curry

Die Debatte um die historische Einordnung der Warriors und Curry schwelt schon seit Monaten. Wie so oft im Sport heben die altgedienten Profis mahnend den Zeigefinger und sprechen den Warriors ab, besser als die vorherige Generation zu sein.

Haudegen und Ex-MVP Charles Barkley sagte schon vor Wochen: "Die Bulls von 95/96 hätten die Warriors gekillt." Oscar Robertson (NBA-Spieler von 1960 bis 1974) meckerte, dass früher ein Spieler wie Curry doch viel besser verteidigt worden wäre. Curry selbst ist von dieser Kritik "genervt" und antwortet lieber auf dem Parkett. Aktuelle Spieler zeigen sich deutlich realitätsnäher als die Veteranen. LeBron James und Dirk Nowitzki kommen selbst kaum aus dem Staunen heraus. James twitterte anerkennend: "Ich habe noch nie jemanden wie ihn der Geschichte des Basketballs gesehen." Nowitzki schrieb: "Back to Back Game mit mindestens zehn Dreiern? Videospiel..."

(ems)
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