WM 2014 Finke will mit Kamerun überraschen

Freiburg · Seit gut einem Jahr betreut Volker Finke das Nationalteam Kameruns. Für den 66-Jährigen steht das Kollektiv im Vordergrund. Am Sonntag (20.30 Uhr/Live-Ticker) trifft seine Mannschaft in Mönchengladbach auf Deutschland. Bei der WM ist das Überstehen der Vorrunde das Minimalziel.

Das ist Volker Finke
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Eigentlich ist Volker Finke ein Kopfmensch, ein Mann mit ausgeprägtem Realitätssinn. Seine mittlerweile fast 13 Monate als Trainer der Nationalmannschaft Kameruns haben aber offenbar den Afrikaner in ihm geweckt. "Wir wollen die zweite Runde erreichen, das ist sicher", sagt der 66-Jährige, der normalerweise eher Erwartungen dämpft. Zumal die WM-Gruppe mit Mexiko, Kroatien und Gastgeber Brasilien sehr schwierig ist, wie Finke einräumt, aber "wir sind ja nicht zum Urlaub machen dort".

Für einen wie Finke sind das geradezu spektakuläre Worte, aber der in Deutschland aufgewachsene Maxim-Eric Choupo-Moting erklärt, sein 66-jähriger Trainer habe sich auf einen Mittelweg begeben. Finke versuche "einen Mix zwischen deutscher Mentalität und der kamerunischen Lockerheit", sagt der Stürmer, der zuletzt für den Bundesligisten Mainz 05 spielte und mit einem Stammplatz bei der WM liebäugeln darf. "Man kann die Kameruner nicht völlig ändern, das weiß der Trainer ganz gut." Aber ein bisschen ändern kann man sie schon, und ein bisschen Veränderung war auch dringend erforderlich.

So wunderte sich in Deutschland kaum jemand, als Meldungen von Konflikten mit Samuel Eto'o publik wurden. Schon während seiner Zeit als Trainer des SC Freiburg sah Finke sich jahrelang dem Vorwurf ausgesetzt, keine mit Sonderrechten ausgestatteten Stars zu dulden, und als Sportdirektor in Köln betrieb er die Absetzung von Lukas Podolski als Kapitän. Dahinter steckt das Konzept der flachen Hierarchien, das auch Joachim Löws Mannschaft kennzeichnet. In Afrika birgt diese Herangehensweise revolutionäre Potenziale. "Ich unterstütze jeden. Ich versuche die Individualisten zu ermutigen, aber dahinter muss das große Motiv stehen, dem Kollektiv dienen zu wollen. Man darf ein Individualist sein, aber kein Egozentriker", sagt Finke.

Den Namen Eto'o erwähnt er in diesem Zusammenhang nicht, aber es gehört nicht viel Phantasie dazu, zu erkennen, dass auch der Superstar gemeint ist. Ein Mann, dem nachgesagt wird, frühere Trainer hätten ihm erlaubt, bei Kaderzusammenstellungen und Aufstellungen mitzureden. Kein Wunder also, dass das Trainingslager von Kufstein dem Leitmotiv "Teambuilding" folgte, zumal die WM 2010 in Südafrika, das große Turnier auf dem eigenen Kontinent, dessen Gesicht Eto'o werden sollte, ein Desaster war. Die zerstrittene Mannschaft verlor alle drei Vorrundenspiele und stürzte in eine tiefe Krise, die in zwei misslungenen Versuchen gipfelte, die Qualifikation für den Afrika-Cup zu schaffen. Für Kamerun, diesen Giganten des kontinentalen Fußballs, eine Demütigung.

Choupo-Moting erinnert sich an "Probleme innerhalb der Mannschaft und Probleme unter den Spielern". Eine Gruppe von etablierten Größen rebellierte gegen den damaligen Trainer Paul Le Guen. "Wenn jeder nur daran denkt, dass er unbedingt sich selbst zeigen will, dass genau er der beste Spieler Kameruns ist, dann ist das nicht mehr mannnschaftsdienlich", sagt Choupo-Moting. "Aber seit Finke da ist, hat sich das gebessert." Und der überzeugende 2:0-Sieg im Spiel gegen Mazedonien, in dem am vorigen Montag auch der Schalker Joel Matip zum Einsatz kam, bestätigte diesen Eindruck.

Die Hauptursache der Konflikte, die in ähnlicher Form immer wieder auch in Teams wie der Elfenbeinküste, Nigerias oder des Senegals aufflammen, liegt in der Besonderheit, dass die Nationalspieler häufig die Versorger und meistens der ganze Stolz von Großfamilien oder ganzer Stämme sind. Wenn diese Fußballer bei ihren Klubs in Europa auf der Bank sitzen, ist das nicht so schlimm. Wenn sie aber im Nationalteam nicht zur ersten Elf gehören, leidet häufig das soziale Ansehen der gesamten Verwandtschaft. Das erschwert es den Spielern, eigene Interessen dem Kollektiv unterzuordnen.

Finke, der schon während seiner Zeit in Freiburg eine "Schwäche für den afrikanischen Fußball" hatte, empfindet diese Herausforderungen dennoch als "unheimlich spannende Geschichte", obgleich er sich noch mit anderen Widrigkeiten konfrontiert sah: Die nationale Fußballikone Roger Milla beschimpfte den Deutschen als "inkompetent", und der Verband war für einige Wochen aufgrund von politischer Einflussnahme vom Weltverband (Fifa) suspendiert worden.

Der Verbandspräsident landete im Gefängnis. Seit dem 4:1 gegen Tunesien, mit dem das Team sich für Brasilien qualifizierte, ist vieles einfacher, und Samuel Eto'o sagt sogar: "Wir können es bis ins Halbfinale schaffen."

Ein Ausscheiden in der Vorrunde wäre jedenfalls eine schwere Enttäuschung, das hat Staatschef Paul Biya bereits klargestellt. "Liebe unbezähmbare Löwen, (...) wir wünschen uns, dass Ihr euren glorreichen Vorgängern von der WM in Spanien 1982 und der WM 1990 in Italien folgen könnt. Verzückt uns noch einmal", hat der 80-Jährige in seiner Neujahrsansprache erklärt.

Das für Sonntag geplante Spiel in Mönchengladbach gegen die deutsche Mannschaft stand kurzfristig auf der Kippe. Wegen des Streits um die WM-Prämien drohten, so die französische Zeitung "L'Equipe", die Spieler mit einem Boykott der Partie und einiger Trainingseinheiten. Die Drohung sei zwar vom Tisch, der Streit gehe aber weiter, hieß es.

(RP)
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