Gegenpressing Warum der Schach-Sport gar kein Sport ist

Das Bundesinnenministerium stellt die Spitzensportförderung für Schach ein und regt damit die Diskussion um den Status dieses Spiels an. Die Frage, wann ist ein Sport ein Sport, lässt sich nur mit einem Blick in die Historie beantworten.

Sollten Ihnen heute Abend am Grill die Themen ausgehen, werfen Sie doch einfach mal die Frage in die Runde "Ist Schach Sport?". Sie werden den ganzen weiteren Abend rege bis erregte Diskussionen und viel Spaß haben. Doch Vorsicht! Sollte ein passionierter Schachspieler anwesend sein, könnte die Lage eskalieren. Die Auseinandersetzung rund um dieses Thema ist vermutlich so alt wie Schach, Sport und Schachsport. Eine befriedigende Antwort auf die Frage hat noch niemand geliefert - zum Glück, denn sonst gäbe es ja ein interessantes Diskussionsthema weniger.

Im Lauf der Wortgefechte an Ihrem Grill (passen Sie auf, dass sich die Leute nicht gegenseitig zerfleischen), werden die Gäste über den Kalorienverbrauch am Brett diskutieren und über die geistigen und körperlichen Strapazen des Schachspiels. Sie werden jede Menge Hobby-Hirnforscher in ihrem Bekanntenkreis entdecken und Leute, die mit ungekannter Ernsthaftigkeit über Dichter und vor allem Denker philosophieren.

Im Gespräch werden Sie garantiert auch folgende Fragen erörtern. Ist die Reiterei Sport? Schließlich strengt sich doch in erster Linie das Pferd an. Wenn Schach kein Sport sein soll, warum ist Billard dann ein Sport? Oder Schießen? Die bewegen doch nur den Finger, mehr nicht. Sind Leute, die ein Auto im Kreis bewegen oder sich von einem Segelflugzeug durch die Lüfte tragen lassen, eigentlich Athleten? Sollte es bei den Olympischen Spielen nicht wieder Kunstwettbewerbe - etwa in Bildhauerei und "Dichtung aller Art" - geben, wie sie bis 1948 zum Programm gehörten? Und wird das Wertungsmusizieren der Schalmeienorchester, Fanfaren- und Hörnerzüge beim Deutschen Turnfest unterschätzt?

Thomas de Maiziere - vor sechs Jahren interessanterweise Schirmherr der "Schacholympiade" in Dresden - hat die Frage, ob das "Spiel der Könige" denn nun Sport sei, mit der ihm eigenen Deutlichkeit beantwortet. Mit einem klaren "Nein". Sein Bundesinnenministerium hat den Schachathleten wegen "beim Denksport nicht vorliegender eigenmotorischer Aktivität" die Förderung gekappt. 130 000 Euro bekam der Schachbund bislang als Spitzensportförderung.

Die Verbandsleute und Schach-Lobbyisten sind verständlicherweise auf dem Baum. Sie verweisen zu recht darauf, dass ihr Spiel in 180 Ländern als Sport angesehen ist und dass der neue Superstar Magnus Carlsen im Sportland Norwegen zum "Sportler des Jahres" gewählt wurde. Sogar das Internationale Olympische Komitee führt Schach in seinen Reihen - wie auch Bridge. Wichtigstes Pro-Sport-Argument der Schachleute ist, dass sie historisch in Deutschland als vollwertige Mitglieder der Spitzenorganisationen angesehen werden. Und das ist das Entscheidende. Denn wirklich greifbare Kriterien, wann ein Wettkampf oder eine Bewegungsform Sport ist, gibt es nicht. Es geht immer nur darum, ob die Sport-Community sich darauf geeinigt hat, dieses Spiel zu akzeptieren. Zufälle und Ungerechtigkeit entscheiden dabei zwangläufig.

Das Schöne an der Diskussion: Offensichtlich ist es heutzutage wichtig und attraktiv, als Sport anerkannt zu sein. Und wenn das Ergebnis Ihrer Diskussion heute Abend am Grill ist, dass Sie Brett und Figürchen hervor holen und bis tief in die Nacht spielen, hat Schach gewonnen. Ganz egal, ob als Sport oder nicht.

Ihre Meinung? Schreiben Sie dem Autor: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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