Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Pechstein bringt Sportgerichte ins Wanken

Düsseldorf · Das Oberlandesgericht München hat die Klage der fünfmaligen Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Claudia Pechstein gegen den Eislauf-Weltverband ISU angenommen. Im Schadensersatzprozess hatte die 42 Jahre alte Berlinerin die ISU auf 4,4 Millionen Euro verklagt, weil sie ihrer Meinung nach zu Unrecht für zwei Jahre gesperrt war.

Reaktionen zum Urteil im Fall Pechstein
Infos

Reaktionen zum Urteil im Fall Pechstein

Infos
Foto: dpa, geb lof

Um was geht es in dem Verfahren? Die ISU hatte Pechstein 2010 wegen angeblichen Dopings gesperrt. Pechstein hatte immer ihre Unschuld beteuert und fühlt sich durch das Urteil von Medizinern bestätigt, die ihr eine angeborene Blutanomalie bescheinigen. Diese Anomalie sei auch für die auffälligen Blutwerte bei der Dopingprobe verantwortlich gewesen. Im aktuellen Verfahren vor dem OLG ging es darum, ob der Internationale Sportgerichtshof (Cas) in der Schweiz das Verfahren überhaupt führen durfte oder ob die Angelegenheit vor ein Zivilgericht gehört.

Was bedeutet das Urteil für die Sportgerichtsbarkeit? Erstmals zieht ein deutsches Zivilgericht ein Verfahren an sich, für das sich bisher der Cas zuständig gefühlt hatte. Die Sportgerichtsbarkeit gerät damit ins Wanken. Bislang ist es so, dass sich die Sportler schriftlich einzig der Sportgerichtsbarkeit unterwerfen (Athletenvereinbarung).

Wie begründet das OLG? Die zwischen der Athletin und der ISU getroffene Schiedsvereinbarung ist "wegen Verstoßes gegen zwingendes Kartellrecht unwirksam", heißt es in der Begründung. Pechstein habe keine andere Wahl gehabt, als die Vereinbarung zu unterschreiben, wenn sie ihren Sport ausüben will.

Was bedeutet dieses Urteil für die Sportler? Die aktuelle Entscheidung kann zur Folge haben, dass diese Athletenvereinbarung, gegen die auch Diskuswerfer Robert Harting die Stimme erhoben hat, nichts mehr wert ist und sich Sportler bei Rechtsstreitigkeiten, die sie mit Vereinen oder Verbänden führen, auch an Zivilgerichte wenden dürfen.

Wie geht es weiter? Der Eislauf-Weltverband geht in Revision. Er hatte schon vor dem Urteil angekündigt, im Fall einer Niederlage den Bundesgerichtshof (BGH) anzurufen. Falls dieser den Spruch des Oberlandesgerichts bestätigt, würde der Dopingfall Pechstein nicht nur formal, sondern auch inhaltlich noch einmal vor Gericht aufgerollt. Der Verband hat nun drei Monate Zeit, seinen Einspruch zu begründen.

Ist die aktuelle Entscheidung vergleichbar mit dem Bosman-Urteil? Nein, auch wenn es möglicherweise genauso weitreichende Folgen hat wie das Urteil, das Jean-Marc Bosman 1995 erstritt. Der belgische Fußballer kämpfte damals mit Erfolg für die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Seitdem gibt es keine Transferentschädigungen nach Vertragsablauf mehr, und die Ausländerbeschränkungen sind in vielen Sportarten praktisch gefallen. "Bosman" wirkte sich damit direkt auf die Zusammensetzung von Mannschaften und auf den Wettbewerb aus. Das wird beim Pechstein-Urteil, wenn es denn mal so genannt werden wird, nicht der Fall sein.

Wie reagiert Pechstein? Sie betonte gestern, dass sie ihre Karriere bis zu den Olympischen Winterspielen 2018 in Südkorea fortsetzen will. Dann wäre sie 45 Jahre alt. Derzeit ist sie die beste deutsche Eisschnellläuferin. Auf das Urteil reagierte sie mit aggressiven Kommentaren. "Für mich ist es ein Supertag, weil ich den Betrügern der ISU eine reingewürgt habe", sagte sie. Den Cas bezeichnete sie geradeheraus als "dubiosen fragwürdigen Sportgerichtshof".

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort