Eisschnelllauf Claudia Pechstein kämpft auch noch mit 43

Köln · Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein will gegen die ihrer Meinung nach zu hohe Zahl an Dopingproben vorgehen.

Olympische Winterspiele: Die erfolgreichsten deutschen Sportler nach Medaillen
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Die erfolgreichsten deutschen Wintersportler

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Foto: dpa/Michael Kappeler

Hörsaal II im Hauptgebäude der Universität zu Köln. Dunkles Holz an den Wänden, altertümliche Heizkörper, Neonröhren, verblichenes Parkett, hölzerne Bänke. Die Kreidetafeln sind notdürftig geputzt. "LP10" hat ein Student mit Kugelschreiber in einen der altehrwürdigen Tische geritzt. Das Kürzel für Lukas Podolski und seine Rückennummer. Vor der Tür zapfen Studenten Kölsch an.

Heute ist aber nicht "Poldi", sondern ein anderer Star da. Einer, der Sportgeschichte geschrieben hat und möglicherweise ein bisschen Rechtsgeschichte schreibt. "Vorlesung Sportrecht, Wintersemester 2015/16", steht auf der Leinwand, "zu Besuch an der Universität zu Köln: Rechtsanwalt Dr. Thomas Summerer und seine Mandatin, die fünffache Olympiasiegerin Claudia Pechstein."

Um 18 Uhr geht es los. "s.t.", wie es im Uni-Deutsch heißt. Pünktlich. Rund 70 Studenten sind da. Weit mehr als sonst zu dieser Zeit an diesem Ort. Claudia Pechstein, die Bundespolizistin aus Berlin, besucht zum ersten Mal einen Hörsaal. "Ich bin eher auf dem Eis zu Hause", sagt sie. Sie trägt Jeans und einen blauen Pullover. Ralf Grengel, ihr Manager, begleitet sie.

Pechstein führt mit dem Eislauf-Weltverband (ISU) einen langwierigen Rechtsstreit. Darum geht es an diesem Abend. Die ISU hatte die Berlinerin 2009 wegen eines Blutwertes für zwei Jahre gesperrt. Sie hat Doping jedoch stets bestritten. Experten führten ihre Werte auf eine vererbte Blutanomalie zurück. Die ISU bekräftigte indes, dass Pechsteins auffällige Blutwerte nicht mit der Anomalie erklärbar seien. Vom Deutschen Olympischen Sportbund wurde sie rehabilitiert.

Sie kämpft um rund vier Millionen Euro Schadenersatz. Und ihr Anwalt kämpft gegen die internationale Sportgerichtsbarkeit. Sein zentraler Kritikpunkt: Die Übermacht der Sportverbände in den Spruchkammern. Der Fall wird vor ordentlichen Gerichten neu aufgerollt. "Der Bundesgerichtshof wird grundsätzlich über die Sportgerichtsbarkeit entscheiden", meint Anwalt Summerer. Voraussichtlich im März oder April werde verhandelt.

Im Februar wird Pechstein 44 Jahre alt. Sie scheint kein bisschen müde. Sie hat die Olympischen Spiele im übernächsten Winter in Pyongchang in den Blick genommen. Auf juristischem Terrain kämpft sie ebenfalls unverdrossen. In Interviews, in Talkshows, und jetzt im Hörsaal. "Ich habe niemals gedopt und habe nie verbotene Methoden angewendet", versichert sie. Anders als der brasilianische Fußballer Fred, der positiv getestet, aber nur für bestimmte Spielte gesperrt wurde. Ihr Leben sei komplett zerstört gewesen, als sie von der Sperre erfuhr, erinnert sich Pechstein. Manager Grengel habe sie davon abgehalten, ins Auto zu steigen und sich das Leben zu nehmen.

Pechsteins "Venen sind total vernarbt von den vielen Einstichen der Kontrolleure", klagt sie. Mehr als 650 Proben musste sie während ihrer Karriere abgeben, darunter viele Dutzend Blutproben. "Ich nenne das fahrlässige Körperverletzung und will das mal durch Ermittlungsbehörden prüfen lassen", sagt Deutschlands erfolgreichste Wintersportlerin. Via Facebook hatte sie angekündigt, dass "Gerichte entscheiden sollen, ob sich Deutschlands Sportler so eine unwürdige und menschenverachtende Behandlung gefallen lassen müssen."

Am letzten Novembersamstag gab sie um 6.30 Uhr eine Blutprobe bei ihr daheim ab, dann fuhr der Kontrolleur mit ihr im Auto zum Training und nahm noch eine Urinprobe. Am Abend um 21.10 klingelte schon wieder ein Kontrolleur der Nationalen Antidoping-Agentur (Nada). "Dieser Wahnsinn kotzt mich an", schrieb Pechstein am selben Abend bei Facebook und beklagte "ständige Nötigungen" und "schwerwiegende Eingriffe in meine Persönlichkeitsrechte".

Sie lasse sich aber "nicht brechen" und habe beschlossen, bis Olympia 2018 ihren Sport zu betreiben, selbst wenn es bis dahin zum 1000. Test kommt - bisher sind es schon mehr als 650 in ihrer ein Vierteljahrhundert währenden Karriere. Ein Unschuldsbeweis ist das freilich nicht. Radrennfahrer Lance Armstrong kokettierte damit, dass er mehr als 200-mal getestet wurde, auch Leichtathletin Marion Jones fiel den Dopingfahndern bei Hunderten von Tests nicht auf, wohl aber den Steuerermittlern. Pechstein kündigte an: "Ab jetzt werde ich bei jeder weiteren Kontrolle Strafanzeige erstatten. Mögen die Gerichte entscheiden, ob sich Deutschlands Sportler so eine unwürdige und menschenverachtende Behandlung gefallen lassen müssen."

Sportlich liegt sie auf Kurs. "Es war ein guter Tag. Ich habe alle meine Ziele erfüllt", sagte die Olympiasiegerin nach ihrem neunten Platz über 3000 Meter zuletzt beim Weltcup in Heerenveen. Vom 9. bis 10. Januar startete sie bei den Europameisterschaften in Minsk. Drei international noch sehr unerfahrenen Athleten, die vom Alter her ihre Kinder sein könnten, begleiten sie. "Eigentlich müsste ich vom Alter her Letzte werden. Dass dies nicht der Fall ist, gibt mir immer neue Kraft", sagte die 43-Jährige.

(bei)
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