BGH entscheidet im Marathon-Prozess Tag der Wahrheit für Claudia Pechstein

Es geht um Millionen und ein wegweisendes sportpolitisches Urteil - und eine Niederlage ist für Claudia Pechstein keine Option. In ihrem jahrelangen Bemühen um Wiedergutmachung verkündet der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag in Karlsruhe ab 9 Uhr eine für Pechstein und die internationale Sportgerichtsbarkeit wegweisende Entscheidung.

Fragen und Antworten zum Pechstein-Prozess
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Foto: dpa, rj_nic_hae jh hak hpl

Mehr als sieben Jahre nach der verhängnisvollen Dopingprobe im norwegischen Hamar kommt es zu einem Tag der Wahrheit. "Es ist das Urteil aller Urteile", sagte Pechsteins Anwalt Thomas Summerer dem SID am Montag: "Die Stimmung ist gut, ich bin sehr zuversichtlich und habe Vertrauen in die deutsche Justiz."

Für die 44 Jahre alte Eisschnellläuferin steht einiges auf dem Spiel. 750.000 Euro kostete sie nach eigenen Angaben bislang der "Kampf" gegen den Weltverband ISU, der sie 2009 aufgrund von Indizien für zwei Jahre gesperrt hatte. Einen Teil davon bezog sie aus Spenden. Auffangen sollen die finanziellen Einbußen, die verpassten Winterspiele 2010 in Vancouver, die Rufschädigung und phasenweise Ächtung durch Öffentlichkeit und Teile des deutschen Sports ein Schadenersatz in Höhe von rund fünf Millionen Euro, zu zahlen von der ISU.

"Ich habe niemals gedopt und nie irgendwelche verbotenen Methoden angewendet", betonte Pechstein immer wieder. Ein inzwischen nicht mehr angewandtes Reglement war der Berlinerin zum Verhängnis geworden. Bei der Mehrkampf-WM in Hamar/Norwegen waren erhöhte Retikulozytenwerte festgestellt worden. Dieses einzelne Indiz reichte damals für den indirekten Dopingnachweis, Pechstein wurde gesperrt. Sie selbst führte die Blutwerte auf eine von ihrem Vater vererbte Anomalie zurück und wurde in dieser Einschätzung von führenden deutschen Hämatologen bestätigt.

Die Chronologie zum Fall Pechstein
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Nach erfolglosen Auseinandersetzungen vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS und dem Schweizer Bundesgericht in Lausanne hob Pechstein ihren Fall durch den Gang vor ein ordentliches deutsches Gericht mit Erfolg in eine neue Dimension. Nach zwei Instanzen landete der Fall beim BGH. Bei der Verhandlung im März ging es weniger um die Frage, ob Pechstein je dopte, sondern um eine Grundsatzentscheidung, die die Institutionen ISU und CAS in ihren Grundfesten zu erschüttern droht.

War die Schiedsgerichtsvereinbarung, die Pechstein vor dem Wettkampf in Hamar unterschrieb, unwirksam? Betrachtet der BGH dies so, wären die Auswirkungen für Sportler und Verbände enorm, denn deren Unterzeichnung ist in allen Disziplinen gängige Praxis. Möglich wäre, dass Sportler dann die Wahl hätten, ob Verfahren vor den ordentlichen Gerichten oder der Sportgerichtsbarkeit verhandelt würden - die derzeit herrschende Einheitlichkeit wäre außer Kraft gesetzt. Der CAS wäre zudem infrage gestellt, könnte sich unter dem entstehenden Druck aber reformieren und strukturelle Defizite aufarbeiten.

Pechsteins Verteidigung zielte im März mit Blick auf die vermeintliche Unwirksamkeit der Vereinbarung unter anderem auf Mängel beim CAS ab, vor dem sie einst erfolglos gegen die Sperre vorgegangen war. Vor dem BGH erhielt sie - das stimmt das Pechstein-Lager positiv - Unterstützung vonseiten des Bundeskartellamtes. Dieses wies auf strukturelle Defizite in der Besetzung des CAS zu Lasten der Athleten hin und zog dessen Neutralität in Zweifel.

Und wenn Pechstein scheitert? Sie würde wohl weiterkämpfen, vor dem Europäischen Gerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht. "Wir werden erst aufhören, wenn wir tot sind oder gewonnen haben. Das klingt martialisch, ist aber so", sagte Lebensgefährte Matthias Große. Womöglich sind er und Claudia Pechstein aber schon am Dienstag am Ziel.

(sid)
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