Skworzowas Bob-Unfall "Ich merke, dass ich das alles nie mehr kann"

Königssee (RPO). Schon die erste Frage treibt Irina Skworzowa die Tränen in die Augen. Sie blinzelt, will die Fassung wahren. Vergeblich. Ihr Körper sackt im Rollstuhl zusammmen, ihr Blick sucht irgendwo in der Ferne etwas, was ihren Emotionen Halt geben könnte. Erst, als sie den Kampf gegen die Tränen endlich gewonnen hat, antwortet die 22-jährige Russin auf die eigentlich unverfängliche Frage: Wie geht es Ihnen?

 Beim Unfall erlitt Irina Skworzowa einen offenen Oberschenkelbruch sowie mehrere Verletzungen im Nieren- und Bauchbereich.

Beim Unfall erlitt Irina Skworzowa einen offenen Oberschenkelbruch sowie mehrere Verletzungen im Nieren- und Bauchbereich.

Foto: AP, AP

"Es geht mir gut, aber manchmal bin ich auch sehr traurig", sagt Irina: "Ich sehe die Sportler, wie sie sich warm machen, wie sie sich auf die Rennen freuen. Und dann merke ich, dass ich das alles nie mehr kann. Deswegen ist es schwer für mich, hier zu sein."

Hier bedeutet Königssee, genauer gesagt die Bobbahn am Königssee. Irina nahm die Einladung der Organisatoren an, zur Weltmeisterschaft an den Ort zurückzukehren, an dem ihr Leben eine schicksalhafte Wendung nahm. An dem sie bei einem Unfall beinahe ihr Leben verlor.

23. November 2009, Training zum Europacup. Der russische Juniorinnen-Bob mit Anschieberin Irinia Skworzowa erhält beim Jugendstart von einem Offiziellen trotz offenbar roter Ampel das Freizeichen. Zur gleichen Zeit gibt es ein paar Kurven weiter oben im Starthaus grünes Licht für einen russischen Männer-Zweierbob.

In der gefährlichen Kurve "Echowand" kippt der Frauenschlitten, er rutscht immer langsamer die Eisrinne runter. Von hinten donnert mit Höchstgeschwindigkeit der Männerbob heran. Bremsen ist jetzt unmöglich. Kurz vor dem Ziel prallen die Schlitten aufeinander.

Sieben Wochen künstliches Koma

Während die drei anderen Insassen nur leicht verletzt werden, hat Irina Skworzowa weniger Glück. Sieben Wochen liegt sie im künstlichen Koma, ehe sie am 13. Januar 2010 wieder erwacht. "Ich mache die Augen auf und sehe Menschen in weißen Kitteln und meine Mutter. Sie sagte: Irina, ich wünsche dir alles Gute zum russischen Neujahr", erinnert sich Irina: "Ich dachte: Wieso Neujahr? Ich war doch gerade erst beim Training."

Trainieren wird die ehemalige Leichtathletin nie wieder. Beim Unfall erlitt sie einen offenen Oberschenkelbruch sowie mehrere Verletzungen im Nieren- und Bauchbereich. Insgesamt etwa 40 Mal wurde Irina operiert, monatelang drohte ihrem rechten Bein die Amputation. Die Ärzte konnten es retten, doch der untere Teil ist bis heute gelähmt.

Neun Monate blieb Irina zur Behandlung in Deutschland. Inzwischen kann sie wieder ein paar Meter auf Krücken gehen. Sie hat die Hoffnung, bald ohne den Rollstuhl auszukommen. "Ich habe es ziemlich satt, im Rollstuhl zu sitzen, ich würde gerne wieder rumrennen", sagt die Russin. Ganz wie vor dem Unfall wird es aber nie mehr werden, das weiß Irina: "Man nimmt dir ein Leben - und gibt dir ein anderes."

Der Starter, der seine Schuld stets bestritten hat, wurde inzwischen vom Amtsgericht in Laufen wegen fahrlässiger Körperverletzung in vier Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 3600 Euro verurteilt. Dagegen hat er Berufung eingelegt. Die Kosten für Irinas Behandlungen gehen in die Hunderttausende. Viele Rechnungen aus früheren Behandlungen sind noch offen, weil im Hintergrund Anwälte, Politiker und Funktionäre um die Begleichung der Kosten streiten.

Weil Irina aber dringend weiter operiert werden muss, will ihr behandelnder Arzt Prof. Hans-Günther Machens von der Klinik rechts der Isar eigenes Geld vorschießen. "Es wurde uns von der russischen Regierung zugesichert, dass alles bezahlt wird", sagte Machens dem Schweizer Fernsehsender SF.

Irina Skworzowa wäre es zu wünschen. Sie will bei der Rückkehr an den Ort, der ihr Leben für immer veränderte, auf andere tapfer wirken. Doch schnell wird klar: Ihre Wunden sind noch längst verheilt. Die körperlichen nicht, und auch nicht die der Seele.

(SID/chk)
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