Interview mit Deutschlands Ski-Ass Felix Neureuther: "Skisport ist die perfekte Lebensschule"

Neuss · Der 30-Jährige über den harten Weg in die Spitze, über seinen Verzicht auf Abfahrtsrennen und die Freundschaft mit Fußball-Profi Schweinsteiger.

Felix Neureuther: Deutschlands alpiner Weltcup-Rekordsieger
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Das ist Felix Neureuther

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Foto: dpa, hm

Mit neun Weltcup-Siegen ist Felix Neureuther gleichauf mit Markus Wasmeier der erfolgreichste deutsche alpine Skirennläufer. Der 30-Jährige hat seinen Vater Christian (sechs) überholt. Großen Anteil habe seine Mutter Rosi Mittermaier, denn "sie hat mir beigebracht, bodenständig zu bleiben und mich nach Rückschlägen aufgebaut". Als Botschafter der "Danke Mama"-Kampagne von Procter & Gamble (P&G) leitete das Slalom-Ass in der Skihalle Neuss ein Training.

Felix Neureuther fädelt ein und scheidet aus
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Haben Sie hier potenzielle Nachfolger gesehen?

Felix Neureuther Die meisten standen ja zum ersten Mal auf Ski. Dafür haben sie sich sehr gut angestellt. Ich bin immer wieder erstaunt zu sehen, was Menschen leisten können, wenn sie sich etwas zutrauen.

Irgendwann sehen Sie sich vermutlich mal in der Rolle des Vaters. Was würden Sie machen, wenn der Nachwuchs kommt und sagt: Papa, ich möchte Skirennläufer werden?

Neureuther Wenn sie Lust haben, dürften sie auf jeden Fall Skifahren erlernen. Auch wenn sie Rennläufer werden wollen und Spaß dabei haben, würde ich das natürlich unterstützen. Aber das ist ein harter Weg. Ich wäre jedoch nicht der verbissene Vater, der da Vollgas geben würde.

Was braucht ein Kind, um ein erfolgreicher Skirennläufer zu werden?

Neureuther Das Schöne am Skisport ist, dass man schon als Kind sehr schnell lernt, mit Niederlagen umzugehen. Erfolg und Misserfolg liegen sehr nah beieinander. Man wird schnell selbstständig. Die Eltern sind nicht immer bei den Rennen dabei. Klar sind Trainer da, aber du musst den Hang runterfahren. Es ist eigentlich die perfekte Lebensschule. Ein Kind muss Mut mitbringen, viel Willen und ein bisschen Spaß bei der Sache, dann ist alles möglich. Und es muss ein Kämpfer sein, weil der Skisport eine Risikosportart ist, in der man vor Verletzungen nicht zurückschrecken darf.

Sie sind seit 2003 im Weltcup. Würden Sie es mit dem Wissen von heute noch einmal machen?

Neureuther Immer wieder. Natürlich gibt es schwierige Zeiten, doch das Positive überwiegt permanent. Ich darf meinen Kindheitstraum leben. Das ist schon ein großes Privileg.

Sie starten "nur" im Slalom und im Riesenslalom. Haben Sie Angst oder zu großen Respekt vor einer Abfahrt oder einem Super G?

Neureuther Ich würde sehr gerne die schnellen Disziplinen fahren. Aber mein Körper lässt nicht mehr zu. Abfahrt und Super G sind schon extrem gefährlich. Ich wollte es, aber es haben mich immer alle gebremst und gesagt: Felix, Junge, konzentriere dich auf das, was du am besten kannst! Das ist der Slalom. Ich riskiere schon mal viel, und das ist in der Abfahrt dann gefährlich.

Es ist für Beobachter kaum nachvollziehbar, wie Slalomfahrer durch den Stangenwald sausen. Wiederholen sich bei der Kurssetzung denn die Passagen, sind die normiert?

Neureuther Da ist nichts genormt. Die Kurse werden morgens von den Trainern gesetzt, die ausgelost werden. Und jeder setzt anders. Probieren sie was im Training aus, versuchen sie es natürlich ähnlich auch im Rennen hinzubekommen. Aber dann sind die Schneeverhältnisse anders, oder die Hangneigung. Wir haben 30 Minuten, uns den Lauf bei der Besichtigung einzuprägen. Dann musst du da runterfahren. Es gibt keinen Trainingslauf. Das findet alles hier oben im Kopf statt.

Ist auf der Festplatte dann alles gespeichert? Sie machen die Augen zu und fahren die Strecke vor dem geistigen Auge ab. Könnten Sie noch die Strecke ihres ersten Weltcupsieges am 24. Januar 2010 in Kitzbühel fahren?

Neureuther Das ist über vier Jahre her, aber ich denke, ich würde die Strecke noch zusammenbringen. Die Rennen der vergangenen Saison könnte ich fast alle noch aufzeichnen.

Ihr Körper streikt ja von Zeit zu Zeit. Wie lange wollen Sie den Rennsport noch ausüben?

Neureuther Man muss schon abwägen, was für mich Sinn macht und was nicht. Ich bin noch nie so beschwerdefrei und ohne Schmerzen aus einer Saison gekommen. Das stimmt mich sehr positiv, dass ich dies noch ein paar Jahre machen kann. Aber es ist immer ein Kampf, weil die Belastung sehr, sehr groß ist. Du musst permanent dranbleiben und schauen, dass das und jenes nicht mehr weh tut. Aber es macht mir so viel Spaß, und ich liebe es, meinen Körper ans Limit zu bringen.

Was ist denn die größte Herausforderung, die größte Überwindung? Etwa der Gedanke, es geht bald wieder los mit der ganzen Schinderei?

Neureuther Das Maximale aus seinem Körper herauszuholen. Das ist ja nicht nur im Sommer- und Skitraining der Fall, sondern du musst den ganzen Aufwand bewältigen. Ich fahre über 25 000 Kilometer im Jahr nur zu Physiotherapeuten, um behandelt zu werden. Dann legen wir Skifahrer viele Tausende Kilometer im Jahr zurück, um zu Rennen zu fahren. Die ganze Reiserei, im Endeffekt immer nur aus dem Koffer leben - das sind alles so Sachen, die einen mit der Zeit irgendwie auch müde machen. Aber solange die Freude überwiegt, das noch machen zu dürfen, gibt es kein Nachdenken.

Was hat es Ihnen bedeutet, erfolgreicher als Ihr Vater zu sein, was die Weltcupsiege anbelangt?

Neureuther Das war für mich das Ziel, weshalb ich Profi geworden bin. Ich hab' also alles erreicht und kann aufhören!

Im Ernst, was erwarten Sie für die kommende Saison?

Neureuther Einfach noch einmal den nächsten Schritt zu machen, mich noch schneller und konstanter am Limit bewegen zu können, das will ich schaffen. Letzte Saison haben 15 Punkte zum Gewinn des Slalom-Weltcups gefehlt. Wenn ich den nächsten Schritt mache, dann schaut das ganz gut aus.

Sie sind Fan des FC Bayern.

Neureuther Das kommt durch meinen Vater, der Bayern-Fan ist. Als Oberbayer hast du ja nur zwei Möglichkeiten: entweder die Sechziger oder die Bayern. Mittlerweile kenne ich viele von den Jungs.

Wie kam die Verbindung zu Bastian Schweinsteiger zustande?

neureuther Wir sind als Kinder Skirennen gefahren. Er war einer meiner größten Konkurrenten. In den Ferien ist er mal zu mir oder ich bin zu ihm gekommen. Dann haben wir uns ein bisschen aus den Augen verloren, weil er im Bayern-Internat und ich Ski fahren war. Damals war es nicht üblich, dass jeder Zehnjährige schon Telefon hatte. Dann ist eine Zeitung darauf gestoßen, dass wir eine gemeinsame Kindheit hatten. Ich war da schon im Weltcup, der Basti hatte gerade sein Profidebüt bei den Bayern gegeben. Wir haben ein gemeinsames Interview gemacht. Wir sind sehr gute Freunde.

Sie haben Abitur gemacht. Welche Fächer haben Sie denn am wenigsten gemocht?

Neureuther Ich wollte mich immer bewegen, wollte immer Skifahren. Im Endeffekt war für mich Schule Pflicht, da mein Vater immer gesagt hat: ohne Abitur kein Sport. Deshalb habe ich das minimalistisch betrieben, so dass ich es geschafft habe, mir aber immer noch genügend Zeit fürs Skifahren geblieben ist. Im Endeffekt das Abitur bestanden zu haben mit über 70 Schul-Fehltagen im Jahr, ist im Nachhinein schon eine Leistung, auf die ich wirklich sehr, sehr stolz bin.

ECKHARD CZEKALLA FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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