Debakel bei Vierschanzentournee Frustrierte Österreicher sagen Teamausflug ab

Garmisch-Partenkirchen · An Neujahr erleben Österreichs Skispringer ihren Tiefpunkt. Als Geschlagene müssen Weltcup-Rekordsieger Gregor Schlierenzauer und Co. nun zum Bergisel reisen. Davor dürfen sie nicht mal einen geplanten Spaß-Termin wahrnehmen.

Das ist Gregor Schlierenzauer
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Foto: dpa/Hendrik Schmidt

Für das Heimspringen am Bergisel hätten sich Weltcup-Rekordsieger Gregor Schlierenzauer und seine Österreicher wahrlich eine andere Ausgangsposition vorgestellt. Der beste ÖSV-Adler beim Neujahrsspringen auf Rang 19, Mitfavorit Stefan Kraft nach einem katastrophalen Sprung nicht einmal im zweiten Durchgang und absolut keine Chancen mehr auf den Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee: Die Österreicher sind schon vor den Wettbewerben in Innsbruck am Donnerstag (14 Uhr/ZDF/Eurosport) und Bischofshofen geschlagen. "Es ist zum Haareraufen", befand Trainer Heinz Kuttin nach dem Debakel von Garmisch-Partenkirchen.

Blickt man auf die vergangenen zehn Jahre zurück, kennt man ein solches Bild nicht mehr. Zwischen 2009 und 2015 gab es sieben österreichische Tournee-Sieger in Serie, Schlierenzauer flog zu insgesamt 53 Weltcup-Erfolgen und Kraft wurde erst im Vorjahr zum vielumjubelten Doppel-Weltmeister. "Wir haben ein Ergebnis gemacht, das überhaupt nicht unseren Ansprüchen entspricht und das uns im Magen liegt", sagte Kuttin an Neujahr. Kraft, der im ersten Sprung am Slowenen Ziga Jelar scheiterte, sagte: "Das ist sehr, sehr bitter. Ich bin etwas ratlos."

ÖSV-Präsident Peter Schröcksnagel meinte: "Das war für uns ein historisches Debakel. Daran gibt es überhaupt nichts schönzureden." Sein Untergebener Ernst Vettori sprach von "der schwierigsten Phase, seit ich Nordischer Direktor bin. Das war eine Watschn, dass wir nur so schauen". Nichts geht mehr bei der einstigen Skisprung-Nation Nummer eins.

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Foto: afp

Mit einem Spitzentrio Kraft, Schlierenzauer und Michael Hayböck wollten die ÖSV-Adler bei der Tournee attackieren und mit den deutschen Top-Athleten um den Gesamtweltcup-Führenden Richard Freitag um die Vormachtstellung ringen. Doch bereits der Auftakt in Oberstdorf zeigte, dass die Österreicher nach der Generalprobe in Engelberg über die Weihnachtstage nichts aufholen konnten und eher noch weiter ins Hintertreffen geraten sind. "Wir haben noch viel vor diese Saison, wir werden Tag für Tag ruhig weiterarbeiten und die Ziele mittelfristiger setzen. Ich bin überzeugt, dass wir in dieser Saison wieder stärker werden", sagte Kuttin.

Die Tournee-Gesamtwertung müssen Kraft und Co. nach der Ernüchterung schnell abhaken. Mit dem Heim-Skifliegen am Kulm in Bad Mitterndorf, der Skiflug-WM in Oberstdorf und dann den Olympischen Spielen in Pyeongchang warten weitere große Highlights auf die Österreicher. Für den Bergisel, der sich in den vergangenen Jahren stets in einen rot-weiß-roten Hexenkeseel verwandelte, haben die Kuttin-Schützlinge immerhin keinen Druck mehr. "Ich bin überzeugt, dass auch die Fans hinter uns stehen werden, denn wir haben schöne Zeiten gehabt, und jetzt in der schwierigeren Phase wird uns das sicher Auftrieb geben", sagte Kuttin.

Für die Österreicher geht es nun auch darum, als Team wieder konkurrenzfähig zu werden. In Einzelbewerben kann eigentlich nur Gesamt-Weltcupsieger Kraft mit der Konkurrenz Schritt halten, in der Mannschaft braucht es hinter ihm weitere Konstanten. Sowohl Schlierenzauer als auch Hayböck, eigentlich Weltklassespringer, verletzten sich in der Vorbereitung und fanden bis zum Jahreswechsel nicht zu alter Stärke zurück. Ein stabiler vierter Mann ist wenige Wochen vor den Team-Springen bei Skiflug-WM und Olympia ohnehin nicht in Sicht.

"Alles analysieren, alles hinterfragen, überall nachjustieren" will Vettori nun. Eine Trennung von Kuttin sei kein Thema, eher werde er, Vettori, selber seinen Platz räumen. Seinen Cheftrainer würde der zweimalige Tourneesieger damit nicht aus der Schusslinie nehmen - die Kritik an Kuttin ist jetzt schon beißend. Der Kärntner macht sich mit seiner unglücklichen Außendarstellung, seinem wenig souveränen, unbedarften Auftreten allerdings auch selbst zur Zielscheibe.

Vorgänger Alex Pointner, unter dem Österreich von 2009 bis 2014 sechsmal in Folge den Tourneesieger stellte, wirft Kuttin vor, seinen Springern zu wenig Rückhalt zu geben. "Es ist befremdend, wenn der Cheftrainer nicht selbst am Trainerturm steht, sondern sich vom Co-Trainer vertreten lässt", sagte Pointner der Kleinen Zeitung: "Man braucht da oben den Chef, der Verantwortung übernimmt." Ob dieser mittelfristig Kuttin heißt, ist fraglich. Vorerst bleibt es bei Durchhalteparolen.

"Jetzt sind wir sehr stark unter Druck geraten. Weil wir auch Leistung bringen wollen", sagte Kuttin. Am besten schon am heimischen Bergisel. An diesem Dienstag, dem einzigen freien Tag der Tournee, wollten Kraft und Co. eigentlich zum Eisstockschießen gehen. Der Termin wurde noch am Abend des Neujahrsspringens abgesagt.

(dpa/sid)
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