DFB-Gegner Brasilien Parreira - die graue Eminenz der Selecao

Rio De Janeiro · Carlos Alberto Parreira, seines Zeichens WM-Trainer von 1994, zieht hinter den brasilianischen Kulissen die Fäden und ist der wichtigste Ratgeber des Chefcoaches Felipe Scolari.

 Carlos Alberto Parreira und Felipe Scolari (v.li.).

Carlos Alberto Parreira und Felipe Scolari (v.li.).

Foto: dpa, ms cda cs

So viel Erfahrung und Kompetenz hat sonst keine Fußball-Nation auf der Trainerbank zu bieten: Zwei Männer, zwei WM-Titel: Luiz Felipe Scolari und Carlos Alberto Parreira sind Brasiliens Weltmeistertrainer von 2002 und 1994. Zusammen sollen sie nun als Trainer und Technischer Direktor die Selecao zum Titel Nummer sechs führen. Und wenn es eine Kombination gibt, die aus Erfahrung und Kompetenz heraus eine so knifflige Aufgabe lösen kann, wie Brasilien ohne Kapitän Thiago Silva und Superstar Neymar im Halbfinale gegen Deutschland bestehen kann, dann sind es diese beiden grauen Herren. Sie haben Joachim Löw eines voraus: Sie wissen aus eigener Erfahrung wie man Titel gewinnt.

Dass sich Brasilien bei der Heim-WM nicht als die Nation der Ballzauberer präsentiert, ist nicht wirklich überraschend. Sowohl Scolari bei der WM in Japan und Südkorea und noch mehr Parreira in den USA setzten bei ihren Titelgewinnen auf eine starke, geordnete Defensive. Vorne sollten es dann Bebeto/Romario beziehungsweise Ronaldo richten. So hatten sie es auch bei der WM im eigenen Land vor, doch nun ist Neymar nicht mehr dabei. Parreira wird seinem Trainer raten, es gegen die Deutschen möglichst defensiv zu versuchen. Dort hat Brasilien seine Stärken. Allen voran David Luiz, der zum Übervater dieses Teams avanciert. Dass Brasilien auch ohne Neymar und Thiago Silva über einen starken Kader verfügt, beweist eine Statistik aus dem Frühjahr: In den Aufgeboten der acht Champions-League-Viertelfinalisten standen insgesamt 24 Kicker mit brasilianischem Pass - mehr als ein ganzer WM-Kader überhaupt aufnehmen kann. Aber eben auch zwei Dutzend Profis, die fernab der Heimat in anderen Fußball-Kulturen zu Hause sind.

Der erfahrene Parreira hat das alles kommen sehen. Kurz vor der WM machte er aus seiner Furcht um den Identitätsverlust des brasilianischen Fußballs keinen Hehl. "Es ist gut, wenn unsere Nationalspieler in den besten Klubs der Welt spielen, sich mit den verschiedenen Arten des modernen Fußballs messen können", sagt der Technische Direktor dieser Tage im Trainingslager in Teresopolis. Doch manchmal sorge er sich auch, dass die Nationalmannschaft deren Spieler den überwiegenden Teil ihrer Karriere im Ausland spielen, ein klein wenig ihrer brasilianischen Identität beraubt wird. Wer zwischen den Zeilen lesen kann, erkennt worauf Parreira hinauswollte: Es wird bei dieser WM kein "Jogo bonito" (schönes Spiel) geben. Stattdessen globalisierte Hausmannskost auf hohem Niveau, abgeklärt und manchmal auch mit einer Härte, die es früher eher nur bei den Gegnern der Brasilianern gab.

Die Sporttageszeitung "Lance" rechnete zuletzt vor, dass die neun brasilianischen Klubs mit den größten Fangemeinden, nicht im Kader vertreten sind: Weder Flamengo, noch Vasco aus Rio, die Corinthians aus Sao Paulo oder Cruzeiro aus Belo Horizonte haben Spieler bei der WM im eigenen Land.

Deutschland - Brasilien: die denkwürdigsten Duelle
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Der Bedeutung seiner Worte war sich Parreira wohl bewusst, deswegen beeilte er sich den aktuellen Nationalspielern auch gleich einen Freibrief auszustellen: "Wenn sie zur Nationalmannschaft kommen, sind sie brasilianischer Spieler. Sie verlieren nicht ihrer Charakter im Hinblick auf die technische Qualität, die Improvisation und die Freude am Ball."

(RP)
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