"Zu wenig Wertebindung beim Kanzler"Gesine Schwan tadelt Schröder
Frankfurt/Main (rpo). Gesine Schwan, jüngst von SPD und Grünen für das Bundespräsidentenamt vorgeschlagen, hat prompt ihr Fähigkeit zum unabhängigen Denken unter Beweis gestellt. In einem Zeitungsinterview bekamen die Reformpolitik der Regierung und insbesondere Gerhard Schröder ihr Fett weg.Sie habe dem Kanzler immer wieder geraten, "zumindest deutlich werden zu lassen, inwieweit seine Politik die Grundwerte der SPD weiter im Blick hält und wo die Zugeständnisse liegen", sagte Schwan der "Frankfurter Rundschau" (Dienstagausgabe). Beim künftigen SPD-Chef Franz Müntefering komme die Wertebindung "ganz deutlich zum Ausdruck", während in Schröders Vokabular "der Bereich der Werte weniger zentral" sei. Sie warnte zudem davor, dass durch die Sozialreformen "einzelne Gruppen verlieren", die nicht im Stich gelassen werden dürften. Schwan forderte darüber hinaus mehr Sorgfalt in der Ausarbeitung der Reformgesetze. Denn mit Nachbesserungen werde "Vertrauen zerstört". Nach ihrer Einschätzung fehlen in Deutschland eine "Grundsolidarität in der Gesellschaft" und ein "Grundkonsens". Nötig sei zudem mehr Bereitschaft zum politischen Konflikt und harten Kontroversen. Zu viele Grundkonflikte würden "unter den Teppich gekehrt". Gegenüber der "Frankfurter Rundschau" verteidigte die Politikprofessorin erneut ihre "antikommunistische" Grundhaltung während der 70er und 80er Jahre. Sie habe damit nicht die Ostpolitik des früheren SPD-Kanzlers Willy Brandt generell abgelehnt. Problematisch sei aber die zweite Phase dieser Ostpolitik gewesen, als "unter dem Einfluss insbesondere von Egon Bahr der SPD die kritische Distanz zum Kommunismus immer weniger wichtig" gewesen sei.