Das Grauen wird wieder lebendigWashington: Erster US-Sniper vor Gericht
Washington (rpo). Das Grauen aus dem Vorjahr wird wieder lebendig: In den USA beginnt am Dienstag einer der spektakulärsten Prozesse in der amerikanischen Kriminalgeschichte, wenn gegen den ersten der Heckenschützen im Raum Washington verhandelt wird. Rund ein Jahr nach der Serie tödlicher Schüsse aus dem Hinterhalt im Raum Washington soll sich der ältere der beiden mutmaßlichen Heckenschützen, der 42-jährige John Allen Muhammad, vor Gericht verantworten. In dem Verfahren geht es um einen von insgesamt zehn Morden in der Region, die Muhammad und dem als Komplizen verdächtigten inzwischen 18-jährigen John Lee Malvo angelastet werden. Gegen Malvo soll später in diesem Jahr in einem getrennten Verfahren verhandelt werden. Beiden droht im Fall eines Schuldspruchs die Todesstrafe, obwohl Malvo zum Zeitpunkt der "Sniper"-Anschläge erst 17 und damit noch minderjährig war. Wochenlang in Angst und SchreckenDie Heckenschützen-Attentate hatten die Bevölkerung in und um Washington Wochen lang in Angst und Schrecken versetzt. Viele Bürger trauten sich vor allem abends nicht mehr auf die Straße. Zahlreiche Veranstaltungen im Freien unter anderem für Schulkinder wurden aus Sicherheitsgründen abgesagt. Nach einer weit über die USA für Schlagzeilen sorgenden Jagd wurde das Duo schließlich am 24. Oktober gefasst: Die beiden schliefen seelenruhig in ihrem Fahrzeug, als die Polizei zuschlug - dem selben zu einer "Tötungsmaschine" umgewandelten Wagen, aus dessen Kofferraum heraus die Schüsse abgegeben worden waren. Zu den Opfern gehört ein 53-jähriger Mann aus Maryland, dem am 9. Oktober in den Kopf geschossen worden war, als er ahnungslos sein Auto betankte. Um ihn dreht sich der Prozess gegen Muhammad. Das Verfahren findet jedoch im benachbarten Bundesstaat Virginia statt - in der Stadt Virginia Beach und damit über 300 Kilometer entfernt vom Tatort. Ein Gericht verfügte dies mit Hinweis auf das Recht des Angeklagten auf einen fairen Prozess: In Maryland, dem Schauplatz des Mordes, sei es wahrscheinlich schwierig, eine unvoreingenommene Geschworenen-Jury zu finden. Die Verteidigung hält ein vorurteilfreies Verfahren auch trotz der Verlegung für praktisch unmöglich, nachdem der Fall für so viel Aufsehen gesorgt und die Gemüter derart stark erregt hat. Viele Rechtsexperten meinen auch, dass das Ergebnis des Prozesses praktisch schon feststehe: die Todesstrafe. Es werde zwar schwierig sein zweifelsfrei nachzuweisen, dass Muhammad und nicht Malvo bei dieser Tat den Finger am Abzug gehabt habe, sagen die Fachleute, und in Virginia könne nur der direkte Täter zum Tode verurteilt werden. Aber Muhammad, ein Golfkriegsveteran, sei schließlich nicht nur unter "normalem" Strafrecht, sondern zugleich auch unter einem neuen Anti-Terror- Gesetz in dem östlichen Bundesstaat angeklagt. Und bei diesem Gesetz reicht der Nachweis einer Komplizenschaft aus, um das "capital punishment", die Todesstrafe, zu verhängen. Völlige Klarheit über die Motive des mutmaßlichen Heckenschützen- Duos, das ein Vater-Sohn-Verhältnis hatte, besteht bis heute nicht. Anti-amerikanische Gefühle gepaart mit immensem Geltungsbedürfnis und grenzenloser Abenteuerlust gelten bisher als wahrscheinlicher Hintergrund der Tat. Die Verteidigung hat vergeblich um die Erlaubnis ersucht, im Prozess auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren zu dürfen, aber das wurde vom zuständigen Richter verweigert, nachdem der Angeklagte jegliche psychiatrische Untersuchungen abgelehnt hatte. Der Prozess gegen Malvo soll am 10. November beginnen - ebenfalls in Virginia, wo auch Minderjährige die Todesstrafe erhalten können. Die Rechtsvertreter des 18-Jährigen wollen argumentieren, dass ihr Mandat nicht zwischen Recht und Unrecht unterscheiden konnte, weil Muhammad ihn einer Gehirnwäsche unterzogen habe.