Was bedeutet Rassismus?
Wer an wenige äußeren Merkmale einer Gruppe von Personen bestimmte Charaktereigenschaften knüpft, der ist mit ziemlicher Sicherheit ein Rassist. Aber was ist das eigentlich - Rassismus? Ist nicht das Wort bereits rassistisch? Schließlich unterstellt der Begriff, dass es unterschiedliche Rassen innerhalb der Spezies Homo Sapiens gebe. Da das biologisch nicht der Fall ist, hat bereits der Terminus einen faden Beigeschmack.
Rassismus besitzt neben seiner abgrenzenden Natur zudem stets eine abwertende Komponente. Eine Gruppe ist in den Augen eines Rassisten besser, klüger oder ehrlicher als eine andere. Begründet wird dies mit Stereotypen, die gesellschaftlich bereits im kollektiven Gedächtnis verankert sind und immer wieder den Weg in den aktuellen Interdiskurs finden - und zwar mittels der Verwendung einer bestimmten rassistischen Sprache. Beispiele dafür sind das typische "Neger", ein abwertender Begriff für Menschen mit dunkler Hautfarbe, der aus der Zeit der Sklaverei und des Kolonialismus stammt. Oder "Nafris", also nordafrikanische junge Männer, denen nachgesagt wird, grundsätzlich "deutsche Frauen" belästigen zu wollen. Oder "Asylant", ein rassistischer Begriff, der in Deutschland Asylsuchende abwerten soll. Diese Sprache markiert dabei Menschen, die zu einer bestimmten Gesellschaftsgruppe gehören sollen, in besonders abwertender Weise und bereitet damit den Boden für non-verbale Diskriminierung, die sich letztlich auch in Gewalttaten äußern kann. Oder wie es der Migrationsrat Berlin/Brandenburg in seiner Broschüre "Institutioneller Rassismus: Ein Plädoyer für deutschlandweite Aktionspläne gegen Rassismus und ethnische Diskriminierung" ausdrückt: "Rassismus ist tief in den Köpfen verankert. Rassismus drückt sich in Sprache und Denkstrukturen aus und manifestiert sich im Aufbau und Ablauf deutscher Behörden und anderer Organisationen.
Rassismus ist eine Normalität, die von der weißen deutschen Öffentlichkeit immer noch weitestgehend verleugnet wird. Eine Normalität, in der Menschen in ein „Wir“ und „Ihr“ unterteilt und mit unterschiedlichen Rechten ausgestattet werden. Eine Normalität, in der die eine Gruppe, auch ohne 'explizite böswillige' Absicht, von der Abwertung der als anders markierten Gruppe profitiert. Einer Normalität, in der das deutsche „Wir“ als Weiß, christlich-säkular, aufgeklärt, modern und entwickelt imaginiert wird und den als patriarchal, traditionell, muslimisch-fundamentalistisch und unterentwickelt imaginierten Schwarzen Menschen und People of Color gegenübergestellt wird."
Welche Formen von Rassismus gibt es?
Rassismus begegnet uns in vielen Formen. Es muss nicht immer plumpe rechte Gewalt sein, die sich gegenüber Minderheiten entlädt. Aber der Weg dorthin scheint oft vorgezeichnet. Wie gesehen hält Rassismus Einzug in unsere Sprache, aber er bestimmt auch diverse Gewohnheiten. Menschen, die aufgrund ihrer Abstammung, Herkunft oder ihrer Religion Probleme bei der Wohnungs- Schul- oder Arbeitssuche haben, werden ebenso rassistisch diskriminiert wie Personen, die aufgrund ihres Aussehens und ihrer vermeintlichen Herkunft häufiger von der Polizei verdächtigt werden, eine Straftat begangen zu haben (Racial Profiling). Bei diesen Problemen spricht man von institutionellem Rassismus.
Ein besonders schlimmes Beispiel hierfür waren die neun zwischen 2000 und 2006 begangenen Morde an durch den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) an Menschen mit Migrationshintergrund. Die Polizei ermittelte zunächst ausschließlich in eine Richtung. Man ging davon aus, dass der oder die Täter aus dem Umfeld der Opfer stammten. Die Bezeichnung "Döner-Morde" machte ab 2005 in der Medienlandschaft die Runde. Im April 2006 wurde sie auch von der Deutschen Presseagentur (dpa) übernommen und von sämtlichen großen überregionalen Tageszeitungen aufgegriffen.
Dass man die Begriffe "Türken" und "Döner" gleichsetzt, ist bereits eine Abwertung. Dass die Menschen hinter der Bezeichnung verschwinden, ist bereits eine klare Diskriminierung. Dazu kommt die stigmatisierende Ermittlungspraxis der "Soko Bosporus", einer rassistisch betitelten Sondereinheit der Polizei, die nicht davor zurückschreckte, zur Tarnung tatsächlich eine Dönerbude zu betreiben. Dass man die Familien der Opfer damit stigmatisierte, dass man sich ausschließlich auf eine bestimmte ethnische Gruppe fokussierte, lässt auch den Migrationsrat Berlin/Brandenburg zu einem vernichtenden Urteil gelangen: "Jahrelang konnte eine mörderische Verflechtung aus Neonazis und Sicherheitsorganen ungestört ihr Unheil treiben, ohne dass nach rechtsextremen, rassistischen Hintergründen ermittelt wurde. Die Angehörigen der Opfer mussten den in Deutschland vorherrschenden Rassismus mit dem Verlust von geliebten Menschen bezahlen und eine massive Diffamierung und Entmenschlichung durch die Ermittlungen und Berichterstattung erdulden. Nichtsdestotrotz mussten nach Bekanntwerden der rassistischen Motive eine offizielle Entschuldigung sowie die Diskussion um eine Entschädigung der Hinterbliebenen - also das absolute Mindestmaß im sensiblen Umgang mit den Angehörigen der Opfer - von Vertreter_innen von People of Color erst eingefordert werden", schreibt Bürgerrechtler Biplap Basu. Dass diese Form der institutionellen Diskriminierung, die man auch als strukturellen Rassismus bezeichnet, in vielen teilen der Welt vorherrscht, wurde auch durch den den Todesfall des Afroamerikaners George Floyd in den USA international zu einem Politikum. Die strukturelle Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerung, die in diesem Fall wohl zu einem extremen Einsatz rassistischer Polizeigewalt geführt hat, in deren Folge George Floyd gestorben ist, führte weltweit zu einem Aufschrei, zu Protesten und einer neuen Debatte um latenten Rassismus in Sprache, Politik, Medien und Kultur.
Wo findet Rassismus statt?
Rassismus findet überall statt. Ob räumlich ganz offensichtlich in "Ghettos", ob in sprachlichen Bezeichnungen wie "Negerkuss" oder in behördlichen Kontrollen aufgrund von Äußerlichkeiten. Die Häufung ist von Region zu Region unterschiedlich und hängt auch vom Bildungsgrad und kulturellen Hintergrund der jeweiligen Bevölkerung ab.
Die alltägliche Diskriminierung bestimmter Gruppen muss nicht immer zu rassistischer Gewalt führen, ist aber in den meisten Fällen für die Betroffenen ein Teil ihres Lebens. Und sie findet an vielen Orten statt. In Schulen, an Arbeitsstätten oder anderen öffentlichen Orten. Eugene Boateng, deutscher Schauspieler mit Wurzeln in Ghana beschreibt die Erfahrungen seiner Jugend in Deutschland so: "Mein gesamter Alltag ist Rassismus gewesen. Tagtäglich hat man das gemerkt. In der Schule, im Supermarkt, überall. Anfänglich geht man aggressiv damit um, weil man ständig ungerecht behandelt wird. Ich habe aber mittlerweile gelernt, Unterschiede zu machen. Wenn mir jemand im Supermarkt hinterherläuft, weil er denkt, ich klaue etwas, dann lache ich darüber. Klarer Rechtsradikalismus ist hingegen etwas anderes. Man hat mittlerweile das Gefühl, dass die Gesellschaft sich teilt. Ich habe schon vor 20 Jahren dafür gekämpft, dass dieser Rassismus aufhört, dass stattdessen Respekt unser Handeln bestimmt. Aber heute Morgen habe ich mit meiner Schwester telefoniert. Sie wurde als „Niggerin“ beschimpft, weil sie eine Mutter darauf ansprach, warum die ihrem Kind verbieten würde, mit meiner Nichte zu spielen."
Was wird gegen Rassismus unternommen?
In der Theorie besteht ohnehin so ziemlich überall Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll in Deutschland dafür sorgen, dass "Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ verhindert werden. Doch allein die falsche, ja rassistische, Verwendung des Begriffs "Rasse" zeigt schon, dass auch die Legislative im demokratischen Deutschland in die Rassismus-Falle tappen kann. Dennoch sind viele Gesellschaften über Instrumente wie Erziehung oder politische Bildung, Internationale Wochen gegen Rassismus oder Kulturfeste immer noch damit beschäftigt, die Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder Religion zu verhindern.
Viele Netzwerke, Institutionen und Programme beschäftigen sich mittlerweile mit dem Phänomen Rassismus. In den Schulen ist demokratische Bildung Pflicht, doch auch hier muss immer wieder nachgebessert werden. Vorurteile werden am besten dadurch entkräftet, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt. Organisationen wie Amnesty International, der "Nationale Aktionsplan gegen Rassismus" der Bundesregierung oder die Amadeu Antonio Stiftung klären in Deutschland über die Möglichkeiten auf, Rassismus, unmittelbare Diskriminierung ebenso wie mittelbare Diskriminierung von benachteiligten Gruppen langfristig abzuschaffen. Die wohl wirksamste Methode, um gegen Hass, Ausgrenzung und Alltagsrassismus vorzugehen, ist eine eher direkt soziale - so viele möglichst verschiedene Menschen wie möglich kennen zu lernen.