Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung "1500 Kliniken würden ausreichen"

Düsseldorf · Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Gassen hält 1500 der mehr als 2000 Krankenhäuser in Deutschland für nicht nötig.

 Notaufnahme in Krankenhaus

Notaufnahme in Krankenhaus

Foto: Olaf Staschik

Wie wird die geplante Krankenhausreform auch die Arbeit der Praxis-Ärzte verändern?

Andreas Gassen Die Krankenhausreform führt zunächst dazu, dass Kliniken, die eigentlich schon vor dem Aus standen, durch frische Finanzmittel eine Verlängerung bekommen. Das ist bedauerlich, denn es gibt einen strukturellen Reformbedarf. Wir haben durchaus eine Unterfinanzierung bei den Krankenhäusern, da die Länder ihren Finanzierungsverpflichtungen nicht nachkommen. Aber es gibt auch viel zu viele Krankenhäuser in Deutschland.

Wie viele Kliniken könnten schließen, ohne dass die Versorgung beeinträchtigt wird?

Andreas Gassen Heute gibt es über 2000 Krankenhäuser. So viele brauchen wir sicher nicht. Schaut man ins Ausland, würde eine Zahl von 1500 wohl ausreichen. Damit wären wir international immer noch überdurchschnittlich gut bestückt. Aber eine pauschale Zahl ist immer falsch - regionale Besonderheiten sind zu berücksichtigen. Jeder vierte Fall, der heute im Krankenhaus behandelt wird, gehört eigentlich in die ambulante Behandlung. Man sollte die überflüssigen Kliniken vom Netz nehmen und die Mittel und Ressourcen in andere Häuser und die ambulante Versorgung umleiten, um dort Pflegenotstand und andere Engpässe zu beheben.

Sind die Praxen in der Lage, entsprechend mehr Patienten zu nehmen?

Andreas Gassen Ja. Die Kliniken behandeln rund 20 Millionen Fälle jährlich. Im ambulanten Bereich sind es rund 560 bis 580 Millionen pro Jahr. Wenn wir nun die Fälle übernehmen, die heute im Krankenhaus behandelt werden, aber eigentlich in den ambulanten Bereich gehören, dann sind das etwa fünf Millionen Fälle. Das ist leistbar. Dafür könnte ein Viertel der Krankenhausbetten mit einem Finanzvolumen von fünf bis sechs Milliarden Euro abgebaut werden. Dieses Geld müsste dann aber auch in den ambulanten Bereich wandern.

Ihre Versorgungsmodelle für Kassenpatienten - wie sollen die aussehen?

Andreas Gassen Alle GKV-Versicherten haben einen Zugang zu allen Ärzten. Daran wollen wir auch nicht rütteln. Wir halten es aber für sinnvoll, wenn die Patienten beispielsweise erst den Hausarzt aufsuchen, der weitere Behandlungsoptionen mit dem Patienten bespricht und die Befunde aus verschiedenen Bereichen sammelt. Das kann Doppeluntersuchungen vermeiden, auch die ungezielte Inanspruchnahme von Leistungen verringern.

Die Krankenkassen haben ja auch versucht, Hausarztmodelle durchzusetzen. Das ist von den Versicherten nur mäßig akzeptiert worden.

Andreas Gassen Wir haben den Wunsch der Patienten nach Vielfalt im Blick. Nach unserem Modell sollen sich die Patienten ihren koordinierenden Arzt aussuchen können. Der Hausarzt bietet sich dafür an. Das kann für Frauen auch die Gynäkologin sein oder für chronisch Kranke der zuständige Facharzt.

Soll es für die Versicherten, die das Koordinierungsmodell nutzen, einen niedrigeren Beitragssatz geben?

Andreas Gassen Ein solches System wird nicht per se preiswerter, aber es wird qualitativ besser für die Patienten. Das Modell kann möglicherweise Kostenanstiege bremsen. Daher wäre es ein Gebot der Fairness, dass die Versicherten, die das Koordinierungsmodell nutzen, dies auch bei ihren Beiträgen spüren im Vergleich zu jenen, die ohne vorherige Beratung zu jedem Arzt gehen und damit mehr Kosten verursachen.

Ärztepräsident Montgomery hat die Terminservice-Stellen der Kassenärztlichen Vereinigungen als Flop bezeichnet. Hat er Recht?

Andreas Gassen Die Terminservice-Stellen waren ein Wahlkampf-Gag. Es ist eine Regelung geschaffen worden, für die es keinen Bedarf gibt. Wir haben immer darauf verwiesen, dass wir die Terminservice-Stellen nicht benötigen, da wir im internationalen Vergleich sehr kurze Wartezeiten auf Arzttermine haben. Wie von uns vorhergesagt, ist die Inanspruchnahme gering. Wir haben seit Jahresbeginn 70.000 Fälle in Termine vermittelt. Meiner Kenntnis nach mussten ganze zwei Patienten davon an Krankenhäuser weitervermittelt werden. Wenn man das zu jährlich einer Milliarde Arzt-Patienten-Kontakte ins Verhältnis ist setzt, ist die Zahl wirklich gering.

Die Ärzte in Nordrhein klagen seit Jahren über vergleichsweise niedrige Honorare? Sie kommen aus Nordrhein. Warum hat es sich noch nicht gebessert?

Andreas Gassen Die Honorare in Nordrhein sind in der Tat sehr niedrig im Vergleich zu manch anderen KV-Regionen. Der Grund: Der Behandlungsbedarf, an dem die Honorare ausgerichtet werden, wurde an historischen Daten festgemacht. Das hängt uns noch wie ein Klotz am Bein.

Das Gespräch führte Eva Quadbeck.

(qua)
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