Jochen Homann im Interview "28 Anträge auf Stilllegung von Kraftwerken"

Weil konventionelle Kohle- und Gaskraftwerke wegen der hohen Subventionen für Ökostrom kaum noch profitabel sind, sollen viele dieser Anlagen geschlossen werden. Das sagt der der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, im Interview mit unserer Redaktion.

 Jochen Homann leitet die Bundesnetzagentur seit März 2012.

Jochen Homann leitet die Bundesnetzagentur seit März 2012.

Foto: Dackweiler, Ulli

Unsere Strompreise gehören zu den höchsten in Europa. Muss die Industrie stärker entlastet werden?

Homann Beim Erneuerbare-Energien-Gesetz erhält die Industrie Entlastungen von rund vier Milliarden Euro. Hinzu kommen Entlastungen bei den Netzentgelten, das waren 411 Millionen Euro im Jahr 2011. Von letzteren profitierten rund 1200 Unternehmen. Über die Angemessenheit entscheidet die Politik.

Stimmt es, dass auch Golfplätze Rabatte beim Netzentgelt erhalten?

Homann Mich ärgert die populistische Debatte über Einzelfälle. Strittig ist die Entlastung nur bei einem verschwindend geringen Anteil der geförderten Unternehmen.

Was bedeutet die Energiewende für das deutsche Stromnetz?

Homann Mit dem Ende der Atomkraft und dem angestrebten Ausbau der Erneuerbaren Energien verschieben sich die Orte der Energieerzeugung, während die Orte des Bedarfs bleiben. In Süddeutschland gehen die Atomkraftwerke vom Netz, in Norddeutschland speisen Windkraftanlagen massiv ein. Das bedeutet einen Bedarf von mindestens drei neuen Hochleistungs-Stromtrassen, wobei "neu" auch den Umbau bestehender Trassen meinen kann.

Um welche Trassen geht es?

Homann Eine der neuen Trassen berührt NRW. Sie beginnt in Emden und endet in Philippsburg. Auf dieser Strecke liegt der wichtige Netzknotenpunkt Meerbusch-Osterath. Der genaue Verlauf steht erst nach einem aufwändigen Verwaltungsverfahren inklusive Bürgerbeteiligung fest. Im Idealfall ist diese Trasse in fünf bis sechs Jahren betriebsbereit.

Warum kämpfen die Anwohner gegen die neuen Trassen?

Homann Manche befürchten eine Entwertung ihrer Grundstücke durch optische Beeinträchtigungen oder gesundheitliche Gefahren. Wir bleiben bei den Stromtrassen aber weit unter den Grenzwerten, so dass mir kein Nachweis über eine mögliche Gesundheitsgefährdung bekannt ist.

Gehen von unterirdischen Kabeln weniger Gefahren aus?

Homann Das ist umstritten. Zu den Seiten hin nimmt die Strahlung stärker ab als bei Freileitungen. Trotzdem gibt es auch Gegner der unterirdischen Verkabelung. Landwirte zum Beispiel, die dann die Fläche über den Kabeln nicht mehr bewirtschaften können. Sie kosten das Drei- bis Zehnfache einer Freilandleitung.

Wer bezahlt den Netzausbau?

Homann Die Verbraucher über die Netzentgelte. Vorschläge, dass Bürger sich direkt Netzanteile kaufen und eine Dividende erhalten sollen, zeigen weitere Möglichkeiten auf.

Konventionelle Kraftwerke sind kaum noch profitabel. Wie viele Anträge auf Stilllegung liegen vor?

Homann Aktuell liegen der Bundesnetzagentur 28 Betreiber-Anträge zur Stilllegung von konventionellen Kraftwerken vor. Die meisten Problem-Kraftwerke liegen südlich des Mains. Diese werden aber für die Versorgungssicherheit benötigt. Die Übertragungsnetzbetreiber weisen Kraftwerke, die für eine sichere Versorgung notwendig sind, als systemrelevant aus. Dann dürfen diese nicht stillgelegt werden und die entstehenden Kosten werden den Kraftwerksbetreibern erstattet.

THOMAS REISENER UND MARTIN RÖSE FÜHRTEN DAS GESPRÄCH

(RP)
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