Düsseldorf Alibaba und die 22 Milliarden Dollar

Düsseldorf · Die chinesische Internet-Plattform plant die größte Emission aller Zeiten. Am Freitag wird die Aktie erstmals notiert. Die Welt ist gespalten - in jene, deren Euphorie keine Grenzen kennt, und solche mit Angst vor einer neuen Internet-Blase.

Der durchschnittliche Mitteleuropäer mag bisher beim Namen Alibaba vorrangig an den Märchen-Helden aus dem Orient gedacht haben, an 40 Räuber, an Tausendundeine Nacht, an die schöne Erzählerin Scheherazade. An den vermutlich größten Börsengang aller Zeiten nicht. Der steht bevor. Morgen soll die Aktie der chinesischen Internet-Plattform erstmals an der New Yorker Börse notiert werden. Ausgegeben werden soll das Papier offenbar zu 68 Dollar, zwei mehr als gedacht. Das Emissionsvolumen beträgt etwa 22 Milliarden Dollar, vielleicht sogar drei Milliarden Dollar mehr, wenn die Investmentbanken alles zeichnen, was sie können.

Der höhere Preis ist das Ergebnis gewaltiger Nachfrage. Die Euphorie erinnert an den Hype des Neuen Marktes in den 90er Jahren. Wie dessen Geschichte für manchen Kleinanleger ausging, ist bekannt: mit teils horrenden Verlusten. Investoren, die ihre Ersparnisse in Internet- und Technologieaktien steckten, standen vor den Trümmern ihrer Altersvorsorge. Firmen erfanden Umsätze, andere entwickelten Geschäftsmodelle, deren Halbwertzeit kaum bis zur nächsten Quartalsbilanz reichte. Manches war stümperhaft, anderes kriminell. Darunter litten jene mit seriösem Gebaren.

Nach diesen Erfahrungen ist die Welt gespalten - in jene, deren Euphorie nach Börsengängen wie Facebook, Twitter und Co. erneut keine Grenzen kennt, und solchen, die in der Angst vor einer neuen Internet-Blase leben. "Das ist ein Marktsegment, das heiß gelaufen ist", sagt ein deutscher Börsianer über das, was in den USA unter Internet und Social Media läuft, "die Bewertung ist schon arg strapaziert." Heißt: Da kommt nicht mehr viel. Birgt eine Aktie aber kaum Kurspotenzial, macht ein Investment wenig Sinn.

Wenn die Theorie stimmte, wäre der Alibaba-Börsengang viel heiße Luft, die den Verkäufern der Aktien dienen könnte, Kasse zu machen. Glaubt man den Internet-Kennern, ist bei den Chinesen indes noch viel Luft nach oben. 600 Millionen Nutzer sind schon da, hunderte Millionen weitere sind allein im Heimatland noch möglich. Laut Voraussage der Unternehmensberatung KPMG wird der Umsatz des chinesischen Internet-Handels 2020 größer sein als der in den USA, Großbritannien, Japan, Deutschland und Frankreich zusammen. Alipay, das Bezahlsystem der Gruppe, über das schon viele Chinesen Strom und Wasser bezahlen, soll als elektronische Geldbörse der Zukunft im ganzen Land etabliert werden. Alibaba schaffte zuletzt 50 Prozent Umsatzplus und eine Gewinnverdoppelung.

Klingt nach großer Zukunft. Aber Alibaba ist auch eine Black Box. "Die Konstruktion ist undurchsichtig, der Aktionär hat keine Mitspracherechte, und der chinesische Konsumentenmarkt ist deutschen Anlegern auch nicht bekannt", sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, und fasst so Argumente zusammen, die gegen Alibaba sprechen. Fazit des Aktionärsschützers: "Wer auf kurzfristigen Gewinn aus ist, wird seinen Schnitt machen. Für die Altersvorsorge taugt Alibaba mit Sicherheit nicht."

Wasser auf die Mühlen jener, denen der chinesische Internet-Mogul nicht ganz geheuer ist. Sie sehen sich dadurch bestätigt, dass Alipay nicht Bestandteil des Börsengangs ist. Denn damit wächst die Unsicherheit beispielsweise darüber, wem eines fernen Tages Kunden und Erlöse gehören könnte. Schanzt Firmengründer Jack Ma die Gewinne Alipay zu, haben Alibaba-Aktionäre nichts davon. Und: Manche erinnern sich daran, dass Alibaba 2007 schon einmal an der Börse hochgejubelt wurde. Damals brach der Aktienkurs danach um 90 Prozent ein, unter anderem deshalb, weil auf der Plattform Tausende Scheinfirmen unterwegs waren, die Waren anboten, aber nicht lieferten. Daraus sollte Alibaba gelernt haben. Ohne zuverlässige Lieferanten taugt die beste Plattform der Welt nicht.

(RP)
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