IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis im Interview "Andere Länder wären froh über unsere Bodenschätze"

Der Chef der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie, Michael Vassiliadis, im Gespräch mit unserer Redaktion über das umstrittene Fracking, die Probleme bei der Energiewende und seinen Vorstoß zu einer eigenen Steinkohlestrom-Gesellschaft.

 Michael Vassiliadis sprach mit unserer Redaktion auch über das Thema Fracking.

Michael Vassiliadis sprach mit unserer Redaktion auch über das Thema Fracking.

Foto: dpa, Holger Hollemann

Herr Vassiliadis, muss Deutschland mit Blick auf die Krim-Krise Angst vor einem Stopp der Gaslieferungen haben?

Vassiliadis: Bislang jedenfalls hat Russland immer zuverlässig geliefert. Wir haben zudem große Gas-Speicher, aber insgesamt wird in Deutschland das Thema Versorgungssicherheit unterschätzt. Wirklich 100prozentig sicher sind am Ende nur die eigenen Energien-Quellen.

Wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um über Fracking hierzulande zu sprechen?

Vassiliadis: Ich halte es zumindest für fahrlässig, wie all unsere eigenen Energieträger infrage gestellt werden: die Steinkohle, weil sie teuer ist; die Braunkohle, weil sie vollkommen überzogen als Klimakiller dargestellt wird; das Fracking, weil es große Furcht vor möglichen Umweltrisiken gibt. Dies — gepaart mit der Abhängigkeit vom Ausland und der unausgewogenen Umsetzung der Energiewende — gefährdet die Versorgungssicherheit in Deutschland mit möglicherweise schwer wiegenden Folgen für die Wirtschaft. Andere Länder wären froh, wenn sie solche Bodenschätze hätten.

Was schlagen Sie vor?

Vassiliadis: Wir brauchen eine Debatte darüber, was zu welchem Zeitpunkt das Hauptziel bei der Energiewende sein soll. Wollen wir uns auf die CO2-Reduktion konzentrieren? Dann müssen wir ab sofort viel stärker über die Klimagasreduktion beim Autofahren, beim Fliegen oder bei der Gebäudesanierung sprechen. Oder wollen wir vor allem eine Energieversorgung ohne Atomkraft aufbauen? Beide Ziele unkritisch miteinander zu verknüpfen, halte ich für falsch.

Das müssen Sie erklären.

Vassiliadis: Derzeit bauen wir einfach ein Windrad oder eine Solarzelle nach der anderen. Der Gedanke, dass man so zu einem Zeitpunkt X ohne Brennstoff auskommen könnte, ist zwar faszinierend. CO2-mäßig sind wir aber erst einmal in einer Sackgasse. Denn für die Schwankungsreserve, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, brauchen wir immer noch die fossilen Brennstoffe — derzeit ist ihr Anteil so hoch wie noch nie. Wollen wir wirklich CO2-sparend den erneuerbaren Anteil ausbauen, dann hätten wir nie aus der Kernenergie aussteigen dürfen.

Sprich: Wir können auf absehbare Zeit nicht auf die Braunkohle verzichten?

Vassiliadis: Genau. Wir werden im rheinischen Braunkohlerevier und in der Lausitz noch sehr lange Kohle abbauen. Nicht nur, weil meine Mitglieder da arbeiten, sondern weil es die günstigste und die einzige noch marktfähige Stromerzeugung ist. Aber wie gesagt: Sie ist den CO2-Romantikern ein Dorn im Auge.

Halten die Betreiber das denn durch? Immerhin werden ja die erneuerbaren Energien vorrangig ins Netz eingespeist.

Vassiliadis: Wenn die Politik den Konzernen nicht hilft — etwa durch einen Kapazitätsmarkt-, bleiben diese angeschlagen. Dann bleibt wenig anderes übrig, als zu rationalisieren. Oder wie es RWE jetzt getan hat: mit dem Verkauf des Gas-Versorgers DEA das Tafelsilber einmalig zu versetzen.

Wenn Sie von der Politik reden, dann kommt auch der von Ihnen lange geforderte Energieminister ins Spiel. Sind Sie mit dessen Arbeit zufrieden?

Vassiliadis: Gut ist, dass Gabriel und auch die Kanzlerin das Thema vorantreiben. Aber wir müssen jetzt schauen, wie die Reform-Eckpunkte aussehen. Die IG BCE betrachtet das Problem ja immer von zwei Seiten: Wir vertreten nicht nur die Beschäftigten der Energieerzeuger. Das Gros unserer Mitglieder arbeitet in den energieintensiven Industrien. Dort rasen wir auf eine Wand zu — und anstatt voll in die Eisen zu steigen, tritt die neue Regierung nur leicht auf die Kostenbremse.

Sie sprechen vom Beihilfeverfahren der EU-Kommission zur EEG-Umlage. Handelt die Regierung Ihnen dort zu zögerlich?

Vassiliadis: Ich denke, dass die Bundesregierung das Problem erkannt hat und auch entschlossen mit der EU-Kommission verhandelt. Wahr ist allerdings auch: Wir haben in Deutschland ein gigantisches Fördersystem für Erneuerbare geschaffen, das nur mit vielen Ausnahmen funktioniert. Das haben Deutsche, die nicht davon profitieren, in Brüssel beklagt und das war der Auslöser, dass die EU-Kommission sich damit beschäftigt. In der Energiepolitik reicht die nationale Perspektive eben nicht. Wir haben zwar einen europäischen Binnenmarkt und selbst die Sozialpolitik wird harmonisiert — nur beim Energiemarkt bekommt man das nicht hin.

Da sind Sie mit dem deutschen EU-Kommissar Oettinger einer Meinung.

Vassiliadis: Naja, Herr Oettinger will ja die spezifischen Vorteile einer jeden Region in Europa nutzen — da wo die Sonne scheint, da wo der Wind weht. Das ist mindestens sehr vereinfachend und erinnert auch ein bisschen an sozialistische Planwirtschaft. Aber es geht schon intelligenter, als wir es derzeit machen. Nehmen Sie nur das EEG: Wir sind ja nicht die einzigen mit einer solchen Umlage. Da gibt es europaweit verwirrende Strukturen.

Bei der deutschen EEG-Umlage hat Kommissar Almunia ins Spiel gebracht, die energieintensiven Betriebe müssten nur 20 Prozent zahlen. Sind Sie damit einverstanden?

Vassiliadis: Es bewegt sich was in den Verhandlungen, das ist zunächst einmal positiv. Die neue Liste mit den energieintensiven Betrieben ist präziser als je zuvor. Ob die von Ihnen genannten 20 Prozent tatsächlich verlangt werden, wird man sehen. Für zahlreiche Unternehmen wäre auch dieser Wert Existenz bedrohend. Es darf keine Preissteigerungen für Energie geben, die nicht mehr zu bewältigen sind. Das muss die Linie sein.

Was würde das für den Arbeitsmarkt bedeuten?

Vassiliadis: Wenn das so käme, würde beispielsweise Trimet in Essen vom Markt verschwinden. Gleiches gilt für die Kupferproduktion oder in der Chemie für einzelne Anlagen. Wir kommen da an einen gefährlichen Punkt, an dem alle schweißgebadet sagen: "Hey, super Kompromiss, auch wenn dafür einige über die Klinge springen mussten." Das ist unnötig. Alle sind rettbar.

Abgesehen von den Brüsseler Plänen: Was muss sich hierzulande beim EEG tun?

Vassiliadis: Wir sind jetzt schon bei einem Anteil der erneuerbaren Energien von 24 Prozent. Die weiteren Ausbauzahlen, die da jetzt in den Koalitionsvertrag reingeschrieben wurden, sind gigantisch. Zumal es noch überhaupt keinen realistischen Zeitkorridor gibt, wie die tatsächlich erreicht werden sollen, ohne das Gesamtsystem zu überfordern.

Sie haben kürzlich eine eigene Kohlestromgesellschaft vorgeschlagen. Was für ein Echo gab es?

Vassiliadis: Es geht da nur um Steinkohlekraftwerke. Manche waren überrascht, dass der Vorstoß nicht von den Konzernen selber kam. Die Unternehmen haben zumindest nicht nein gesagt. Ich habe jetzt eine Investment-Gesellschaft das Ganze zu einem Konzept ausarbeiten lassen. Das bekommen die Betreiber, dann werden wir weiter darüber reden.

Wäre das eine Bad Bank für die Steinkohle?

Vassiliadis: Das wäre auch eine Idee, entspricht aber nicht meinem Vorschlag. Da sollen nicht nur die unprofitablen, sondern alle Steinkohlekraftwerke rein. Die Unternehmen würden dann Anteile an dieser Gesellschaft halten. Dann entsteht eine Reihe von Synergien, wenn die Steinkohleverstromung einheitlich gemanagt wird.

Damit würden sie aber den Markt ausschalten.

Vassiliadis: Einen Markt, den es so aber ja schon gar nicht mehr gibt. Insofern wäre das akzeptabel.

(csi)
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