Berlin Angriffslustiger Gabriel stichelt bei IT-Gipfel

Berlin · Der Bundeswirtschaftsminister kritisiert Dax-Konzerne und Bundesländer für deren Rückständigkeit bei der Digitalisierung. Nordrhein-Westfalen geht derweil mit einem neuen Bildungsprojekt vorweg.

Sigmar Gabriel wirft einen kurzen Blick auf die erste Sitzreihe im Saal, dahin, wo Männer wie Telekom-Chef Tim Höttges sitzen, und legt los: "Wenn beim nächsten Mal eine Investorenkonferenz für Start-ups in Berlin ist, wäre es schön, wenn auch die Dax-Konzerne da wären und nicht nur amerikanische Wagniskapitalgeber." Rumms.

Wenige Minuten reichen dem SPD-Wirtschaftsminister beim IT-Gipfel, um sich mit den 30 größten Unternehmen und allen Bundesländern anzulegen. Denen sagt er, dass Deutschlands im internationalen Vergleich mittelmäßige Platzierung bei der Digitalisierung wohl auch eine Folge der föderalen Bildungslandschaft sei - und schiebt genüsslich hinterher: "Ich weiß, wovon ich rede. Ich war mal Minister eines Bundeslandes. Das ist eine Entwicklung vom Täter zum Opfer."

Welchen Stellenwert der inzwischen 9. nationale IT-Gipfel für die Bundesregierung hat, zeigt die Gästeliste: Das halbe Kabinett ist angereist. "Wir sind fast beschlussfähig", fasst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) es zusammen. Zwei Tage diskutierten die Minister in Berlin mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über Wachstumschancen für Start-ups, die zukünftige digitale Infrastruktur - und Bildung.

"Die Frage der Bildung wird eine zentrale Rolle spielen", betont Angela Merkel etwas weniger angriffslustig als ihr Vize-Kanzler. Schulbildung, Studium, Weiterbildung im Alter - all diese Faktoren werden nötig sein, wenn Deutschland langfristig in einer digitalisierten Welt eine Spitzenposition einnehmen will. Bildung, unterstützt Merkel einen Vorschlag Gabriels, solle daher beim nächsten Gipfel auch Schwerpunktthema sein.

In NRW wird man dann schon einen Schritt weiter sein. Im März lädt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) zum großen Bildungskongress mit dem Schwerpunkt Digitalisierung. Schon jetzt startet ein Dialogprozess auf einer Online-Plattform, an der sich jeder beteiligen kann. Ziel ist es, aus den Ergebnissen am Ende ein Leitbild für das Lernen im digitalen Wandel zu entwickeln. Es soll alle Bereiche von frühkindlicher Bildung bis zum Lernen im Alter abdecken. Anschließend soll dieses Leitbild in politische Entscheidungen übersetzt werden. "Auch wenn die Maschinen immer intelligenter werden, sollten wir daraus nicht den Schluss ziehen, wir könnten es uns leisten, immer dümmer zu werden", sagte Kraft auf Anfrage unserer Redaktion.

Nordrhein-Westfalen nehme damit beim Thema Bildung eine Vorreiterrolle ein. Ähnliches muss Deutschland aus Sicht von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel auch bei der digitalen Infrastruktur gelingen: "Für ein Industrieland wie Deutschland wäre es angemessen, bis 2025 die modernste Infrastruktur der Welt zu haben." Dies sei nur durch das Verlegen von Glasfaserkabeln zu erreichen. Unterstützung kommt von Bitkom-Präsident Thorsten Dirks: "Ich würde allerdings lieber über 2020 reden."

Um Deutschland als Gründerstandort zu verbessern, müsse auch über den Zugang zu Wagniskapital und die Netzneutralität diskutiert werden, forderte Stephanie Renda, Geschäftsführerin des Start-ups Match2Blue. Unterstützung bekam sie von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller: "Die Beschlüsse zur Netzneutralität sind etwas, was hinterfragt werden muss." Die Europäische Union hatte zuletzt ein Gesetz erlassen, mit dem Unternehmen künftig die Daten so genannter "Spezialdienste" bevorzugt durchleiten können. Kritiker fürchten, dass dadurch ein Zwei-Klassen-Internet entstehen könnte. "Ich sehe diese Schwierigkeiten nicht", meint Gabriel und sagt gleichzeitig: "Wenn wir Nachteile für Start-ups oder Internetnutzer erkennen sollten, haben wir mit der Bundesnetzagentur die Möglichkeit einzugreifen."

Im nächsten Jahr findet der IT-Gipfel in Saarbrücken statt, im Jahr danach in Rheinland-Pfalz.

(frin)
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