Karlsruhe Ein bisschen Geld für die Atomkonzerne

Karlsruhe · Das Verfassungsgericht hält den Atomausstieg bis 2022 nicht für eine Enteignung. Nur in zwei Randbereichen muss der Gesetzgeber nachbessern. Mehr als ein paar Hundert Millionen werden die Konzerne nicht bekommen.

Atomausstieg: Ein bisschen Geld für die Atomkonzerne
Foto: dpa, iwa sv jol

Für Ferdinand Kirchhof und seine Kollegen am Bundesverfassungsgericht war der Prozess um den Atomausstieg ein intellektuelles Vergnügen. Es ging um ein komplexes Thema, auf beiden Seiten fochten Topjuristen. Gestern verkündete Kirchhof das Urteil: Danach ist der Atomausstieg mit dem Grundgesetz vereinbar. Nur in Details muss der Staat bis Juni 2018 nachbessern.

Worum ging es? Die schwarz-gelbe Bundesregierung hatte 2011 nach dem Reaktorunglück in Fukushima den Atomausstieg verkündet. Neun Meiler mussten sofort vom Netz. Die übrigen acht werden nach einem festen Zeitplan bis 2022 abgeschaltet. Eine Kehrtwende: Denn 2010 hatte dieselbe Bundesregierung noch eine Verlängerung der Laufzeiten gegenüber dem im Jahr 2002 vereinbarten Atomausstieg beschlossen. Deshalb klagten RWE, Eon und Vattenfall, weil sie ihr Recht auf Eigentum verletzt sahen.

Was ist verfassungsgemäß? Ihre Mitteilung überschrieben die Richter so: "Die 13. Novelle des Atomgesetzes ist im Wesentlichen mit dem Grundgesetz vereinbar." Der Ausstieg verletze den Vertrauensschutz nicht. Es handele sich auch nicht um eine Enteignung, für die es eine Entschädigung geben muss. In der Atompolitik habe der Staat Spielraum: "Bei Kernkraftwerken handelt es sich um Eigentum mit einem besonders ausgeprägten sozialen Bezug. Dies verschafft dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Atomrechts einen besonders weiten Gestaltungsspielraum, auch gegenüber bestehenden Eigentumspositionen."

Was beanstandeten die Richter? In zwei Punkten sehen die Richter Nachbesserungsbedarf. Die Regierung hatte den Meilern feste Abschalttermine bis 2022 vorgeschrieben, so dass es den Versorgern nicht mehr möglich ist, die ihnen 2002 zugestandenen Reststrommengen zu nutzen. Das verletzt das Recht auf Eigentum. Weiter hatte die Regierung keinen Ausgleich für Investitionen vorgesehen, die die Konzerne zwischen Dezember 2010 (Laufzeitverlängerung) und März 2011 (Atomausstieg) getätigt haben.

Wie viel Geld erhalten die Konzerne? Die Konzerne sollen laut Branchenkreisen zunächst 19 Milliarden Euro vom Staat gefordert haben, darunter Eon acht Milliarden und RWE sechs Milliarden. Davon werden sie nur einen Bruchteil sehen. Schließlich haben die Richter Ausgleichszahlungen nur für Randbereiche zugelassen. "Wir gehen nicht davon aus, dass Entschädigungen in Milliardenhöhe erfolgen", sagt die RWE-Sprecherin. "Die Atomkonzerne dürfen das Urteil jetzt nicht für Tricksereien nutzen, um den Steuerzahlern unverhältnismäßig hohe Kosten aufzuhalsen", sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter unserer Redaktion. Peter Rosin, Energierechtsexperte von White&Case, betont: "Das Verfassungsgericht hat darauf hingewiesen, dass ein Ausgleich nicht zwingend in Form einer finanziellen Kompensation erfolgen muss. Auch andere Gestaltungsmöglichkeiten stehen dem Gesetzgeber offen." So kann die Regierung auch Laufzeiten einzelner Meiler verlängern.

Was ist mit EnBW und Vattenfall? Vattenfall ist, obwohl ein schwedischer Konzern, in Deutschland grundrechtsfähig, betonten die Richter. Sonst wäre die Niederlassungsfreiheit in der EU verletzt. Vattenfall ist an Krümmel, Brunsbüttel und Brokdorf beteiligt. EnBW mit den Meilern Neckarwestheim und Philippsburg hat nicht geklagt - aus Rücksicht auf den Eigentümer, das grün-rote Baden-Württemberg.

Was erwartet die Bundesregierung? Sie atmet auf. "Die Milliardenforderungen, wie sie den Konzernen vorgeschwebt haben, sind vom Tisch", sagte der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth. Das Ministerium geht davon aus, dass nur bei zwei Atomkraftwerken überhaupt ein Anspruch auf Schadensersatz besteht: Krümmel und Mülheim-Kärlich. Krümmel wurde schnell abgeschaltet, obwohl der Vattenfall-Reaktor nicht einmal 30 Jahre lief. Mülheim-Kärlich ging nie ans Netz, die Strommengen des RWE-Reaktors durften auf andere Meiler übertragen werden. Die Auswirkungen des Urteils seien überschaubar und fielen frühestens im Bundeshaushalt 2018 an, hieß es auch im Finanzministerium.

Was ist mit den übrigen Klagen? Eine Reihe anderer Verfahren läuft noch. Wohl bis 2017 gedulden müssen sich die Konzerne, was ihre Klage gegen die Atomsteuer angeht. Das Verfassungsgericht hat noch keinen Entscheidungstermin genannt. Vattenfall als schwedischer Konzern hat den Bund zudem vor einem US-Schiedsgericht verklagt. Sollte Vattenfall siegen, wird auch die Eon profitieren, sie ist ebenfalls an Krümmel und Brunsbüttel beteiligt.

(mar)
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