Pierer, Cromme, Ackermann und Mayrhuber Aufsichtsräte auf dem Schleudersitz

Düsseldorf · Früher waren Aufsichtsräte bessere Frühstücksdirektoren. Die gemütlichen Zeiten sind vorbei. Die juristischen Angriffe auf die Unternehmens-Kontrolleure haben sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdreifacht.

Der letzte große Auftritt von Josef Ackermann
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Hässliche Schlagzeilen und hartnäckige Staatsanwälte setzen deutsche Aufsichtsräte zunehmend unter Druck. Prominente Beispiele wie Heinrich von Pierer (Siemens), Gerhard Cromme (ThyssenKrupp), Wolfgang Mayrhuber (Lufthansa ) und Josef Ackermann (Mannesmann) sind nur die Spitzen eines Eisberges. "Die juristischen Angriffe auf die Kontrolleure haben sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdreifacht", sagt der Düsseldorfer Experte für Manager-Haftung, Michael Hendricks. Der Berater schätzt, dass sich aktuell über 500 Aufsichtsräte in Deutschland juristisch gegen Schadenersatzansprüche verteidigen müssen. Sie sollen bei der Kontrolle der Unternehmen geschlampt haben.

Zwar treffen Aufsichtsräte selbst kaum unternehmerische Entscheidungen. Aber das Aktiengesetz verpflichtet sie, die Arbeit der Vorstände zu überwachen. In Zeiten der "Deutschland AG" war das noch eine Aufgabe für Frühstücksdirektoren: Bis weit in die 1990er Jahre kontrollierten sich die Chefs der damals noch eng verflochtenen Konzerne weitgehend gegenseitig. "Wenn es Unstimmigkeiten gab, wurde das unter der Hand geregelt", meint Hendricks. Das hat sich dramatisch geändert. In den letzten zwei Jahren habe sich die Lage "so zugespitzt, dass ich vielen Klienten inzwischen von der Übernahme von Aufsichtsratsmandaten abrate", sagt Hendricks.

Haftpflichtversicherung für Aufsichtsräte

Auch Thomas Hechtfischer, der als Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) Tausende von Kleinanlegern vertritt, sieht Aufsichtsräte heute auf dem Schleudersitz: "Früher standen immer nur die Vorstände im Mittelpunkt. Inzwischen greifen die Aktionäre aber auch die Aufsichtsräte offensiv an." Seit Anfang des Jahres gibt es auf dem deutschen Markt sogar erstmals eine eigene Haftpflichtversicherung für Aufsichtsräte: Die "Two Tier Trigger Policy" soll die Unternehmenskontrolleure vor Schadensersatz und juristischem Unbill schützen. "Das Produkt verkauft sich wie verrückt", berichtet Hendricks, "inzwischen ist den meisten Unternehmen klar, dass die allgemeinen Managerhaftpflicht-Versicherungen für Aufsichtsräte nicht mehr reichen."

Die neue Ungemütlichkeit hat verschiedene Ursachen. Peter Dehnen, der als Vize-Chef der Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland (VARD) heute in Düsseldorf den "Deutschen Aufsichtsrats-Tag (DART)" veranstaltet, nennt den zunehmenden Einfluss ausländischer Investoren auf deutsche Konzerne: "Die Dax-30-Unternehmen sind inzwischen zu 50 bis 70 Prozent in ausländischer Hand", sagt der Düsseldorfer Anwalt. Anders als deutsche sehen ausländische Anleger nicht den Vorstand, sondern die Aufsichtsräte als ihren wichtigsten Machthebel: "Weil der Vorstand vom Aufsichtsrat und der Aufsichtsrat von den Anlegern bestimmt wird", erklärt Dehnen eine Sichtweise, die vor allem in den USA vorherrscht.

Wegen genau dieser Logik wurde jüngst die Lufthansa blamiert. Vor gut vier Wochen wollte die Fluggesellschaft ihren langjährigen Konzernchef Wolfgang Mayrhuber zum Aufsichtsratschef wählen lassen. Am Vortag der Hauptversammlung musste der Österreicher seine Kandidatur aber auf Druck der amerikanischen Anlegerberatung ISS zurückziehen. Die Amerikaner sahen Mayrhubers Unabhängigkeit als Kontrolleur gefährdet, weil er vor zwei Jahren noch selbst Vorstand war. Erst in letzter Sekunde gaben die Amerikaner nach, Mayrhuber kandidierte doch noch und wurde — mit peinlich knapper Mehrheit — Aufsichtsratschef.

Vorstand contra Aufsichtsrat

Hendricks beobachtet, dass Aufsichtsräte zunehmend auch vom eigenen Vorstand angegriffen werden. Die inzwischen "klassische juristische Kettenreaktion" beschreibt Hendricks so: Ein Vorstand gerät — wie jüngst bei ThyssenKrupp — wegen milliardenschwerer Fehlinvestitionen unter Druck. Der Aufsichtsrat ist verpflichtet zu prüfen, ob die Manager schadensersatzpflichtige Fehler gemacht haben. Der Vorstand rächt sich und lässt umgekehrt prüfen, ob die Aufsicht fahrlässig war. "Das endet dann meistens in einem außergerichtlichen Vergleich", so Hendricks, "schon, weil die Beteiligten den Vorgang unter der Decke halten wollen." Deshalb bleiben die meisten juristischen Probleme von Aufsichtsräten geheim.

So weit eskalierte der Konflikt bei ThyssenKrupp bislang nicht. Cromme beendete die öffentliche Diskussion um seine Person schließlich, indem er im März seinen Rücktritt als Aufsichtsratschef erklärte. Sein guter Ruf ist jetzt allerdings angeschlagen. Dieses Schicksal teilt er mit Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer: Der musste seinen späteren Posten als Aufsichtsratschef räumen, als er in dem Gremium selbst Thema wurde. Wegen einer milliardenschweren Schmiergeld-Affäre zahlte der legendäre "Mr. Siemens" am Ende in einem Vergleich fünf Millionen Euro. Ex-Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann musste sich als Mannesmann-Aufsichtsrat gerichtlich wegen einer 30-Millionen-Zahlung an Vorstandschef Klaus Esser verantworten. Auch er kam mit einem Vergleich davon: Ackermann zahlte 3,2 Millionen Euro.

(RP/felt/hav/das)
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