Mumbai Bares ist Rares

Mumbai · Im November hat Indiens Regierung über Nacht einen Großteil der Banknoten für ungültig erklärt. Seitdem bilden sich täglich lange Schlangen an den Geldautomaten, die Wirtschaft leidet. Warum unterstützen trotzdem so viele Leute den Schritt?

 Nach der Bargeld-Reform in Indien werben Banken und Start-ups mit Bezahlmodellen für das Smartphone.

Nach der Bargeld-Reform in Indien werben Banken und Start-ups mit Bezahlmodellen für das Smartphone.

Foto: frin

Sogar in der Finanzhauptstadt ist das Geld knapp. In Mumbai haben die indische Börse und viele Großbanken ihren Sitz. Doch egal, ob man im Hotel, Restaurant oder beim Straßenhändler bezahlen will - überall heißt es: Kein Wechselgeld!

Etwas mehr als einen Monat ist es her, dass Indiens Premierminister Narendra Modi überraschend alle Banknoten im Wert von mehr als 100 Rupien (circa 1,40 Euro) für ungültig erklärte. 86 Prozent des indischen Bargelds wurde damit auf einen Schlag wertlos. Die Folgen dieses Schritts sind drastisch. Denn ob das Experiment, mit dem Schattenwirtschaft und Korruption bekämpft werden sollen, am Ende aufgeht, ist weiterhin zweifelhaft.

Täglich bilden sich lange Schlangen an den Geldautomaten - zumindest an denen, die überhaupt noch etwas ausspucken. Stundenlang stehen die Menschen hier an, um zumindest kleinere Geldbeträge abheben zu können. Doch viele warten vergeblich - weshalb die, die es sich leisten können, oft Leute fürs Anstehen bezahlen.

Die Abschaffung der Bargeldnoten trifft vor allem die einfachen Menschen, die Putzkräfte, Fahrer, Hausangestellten, die vielfach von ihren Arbeitgebern bar bezahlt werden. Oder die Straßenhändler, die plötzlich ihre Waren nicht mehr loswerden. Die Analysten des Geldhauses Ambit Capital rechnen nur noch mit einem Wirtschaftswachstum von 3,5 Prozent für dieses Jahr - damit hätte sich die Wachstumsrate innerhalb kürzester Zeit halbiert. Man muss sich nur mal vorstellen, was in deutschen Städten los wäre, wenn plötzlich keine Euro-Scheine mehr angenommen würden.

Seit Wochen macht die Opposition daher Stimmung gegen die Regierung, zuletzt verbreiteten Politiker die Nachricht, dass 95 Menschen beim Anstehen für Bargeld gestorben seien. Ob das stimmt? Wer weiß das schon. Aber mit jedem weiteren Tag des Bargeld-Mangels droht die Stimmung zu kippen.

Eigentlich ist es schon erstaunlich, dass es überhaupt - abgesehen von einigen Demonstrationen - so ruhig bleibt. Denn wer durch Indien reist, erlebt trotz massiver Probleme kein Land im Ausnahmezustand. Viele der 1,2 Milliarden Inder unterstützen Modis Maßnahme sogar. Denn so prekär die Situation auch ist (und sie ist es wirklich!) - die Menschen eint das Gefühl, dass jetzt endlich was passiert. "Ich schätze, dass selbst 90 Prozent der Betroffenen den aktuellen Kurs unterstützen", sagt Heinrich Bruellau, der hier für den Wuppertaler Mittelständler Schmersal arbeitet.

Denn die Wut über die Korruption ist groß. Es werden Geschichten erzählt von Menschen, die ganze Räume voller Schwarzgeld besitzen, oder von Wahlen, bei denen vorher Parteimitglieder mit Koffern voller Geld durch die Wahlbezirke fahren und Stimmen kaufen. Und dann ist da natürlich noch die Ungleichheit zwischen selbstständigen Händlern und Angestellten bei Unternehmen. Während die einen ihre Einnahmen bar kassieren und bislang am Fiskus vorbeischleusen konnten, bekommen die anderen das Geld auf ein Bankkonto überwiesen, natürlich versteuert. Der Konflikt verläuft nicht nur zwischen Arm und Reich, er wird auch innerhalb der Schichten ausgefochten.

80 Prozent der indischen Wirtschaft fand bislang im so genannten informellen Sektor statt. Dort wird bar bezahlt. Premierminister Modi will gegen diese Schattenwirtschaft vorgehen, weil dem Staat damit wichtige Einnahmen entgehen. Sein langfristiges Ziel ist daher die bargeldlose Gesellschaft, in der jeder Inder ein Bankkonto hat und Geldflüsse überwacht werden können.

Die Realität sieht aber noch anders aus: Lediglich die Hälfte der Inder hat ein Konto, viele davon existieren nur auf dem Papier. Und ein Smartphone haben auch nur die wenigsten. Anshuman Das hält das Ziel der Regierung daher für unrealistisch: "Wie soll das auf dem Land funktionieren, es gibt nicht mal eine Bank?" Er steht auf einem Bauernhof im Bundesstaat West-Bengalen. Gepflügt wird hier noch per Hand, und über die Feldwege quälen sich von Rindern gezogene Holzkarren. Grundsätzlich unterstützt zwar auch der Mitarbeiter der Welthungerhilfe die Pläne der Regierung, aber sie seien schlecht vorbereitet.

Was Das meint: Die Notenbanken konnten die neuen Geldscheine kaum vorproduzieren, weil Modi nur wenige Personen eingeweiht hatte. Und viele Geldautomaten waren zunächst nicht in der Lage, die neuen 2000-Rupien-Scheine, die in den Verkehr gebracht wurden, zu verarbeiten. So reihte sich Panne an Panne. Mit zahlreichen Maßnahmen versucht die Regierung seitdem nachzujustieren.

Das alte Geld sucht sich derweil längst neue Wege. Ganze Netzwerke helfen angeblich beim Tausch großer Geldmengen. Alte Scheine werden in Dollar getauscht, andere setzen auf die bei Indern so beliebte Geldanlage Schmuck oder investieren in Gold oder Immobilien. Und auch viele Händler zeigen sich erfinderisch. In einigen Gebieten Indiens soll wieder die Tauschwirtschaft eingeführt worden sein. Mit Naturalien. Das dürfte Modi mit dem bargeldlosen Indien nicht gemeint haben.

(frin)
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