Fragen und Antworten zum Zehn-Milliarden-Euro-Deal Bayers teurer Weg an die Weltspitze

Leverkusen · Bayer will Weltmarktführer bei rezeptfreien Arzneien werden. Die Übernahme des Merck-Geschäfts finanziert der Konzern vollständig über Kredite. Zehn Milliarden Euro sind zu viel, sagen Analysten.

Chronik zu 150 Jahre Bayer: Von der Farbenfabrik zum Weltkonzern
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Foto: AP, AP

Bayer-Chef Marijn Dekkers ist als Chemiker selbst Forscher durch und durch. Über nichts kann der sonst eher nüchterne Niederländer so leidenschaftlich sprechen wie über die Arbeit der Bayer-Forscher. Die ist durchaus erfolgreich. Schlaganfall-Mittel wie Xarelto und Krebsmittel wie Nexavar sorgen für Milliarden-Umsätze. Doch das Geschäft mit innovativen Arzneien ist riskant, sie können floppen, der Patentschutz läuft irgendwann aus, Gesundheitsreformen verderben die Preise. Daher hat schon Dekkers' Vorgänger Werner Wenning begonnen, das weniger riskante Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten auszubauen. 2004 übernahm Bayer die entsprechende Sparte des Schweizer Konkurrenten Roche, der etwa die Heilsalbe Bepanthen herstellt. Dekkers gab später die Devise aus, dass Bayer in diesem OTC-Geschäft (OTC für "over the counter", sinngemäß: ohne Rezept über den Tresen) Weltmarktführer werden soll - und so den US-Konzern Johnson & Johnson vom Thron stößt. Mit der gestern verkündeten Übernahme der OTC-Sparte von Merck ist Bayer dem Ziel einen Schritt näher gekommen.

Ist der Kauf sinnvoll?

Ja, sind sich die Analysten einig. Der Kauf mache Sinn, weil Bayer nun in den USA, dem weltgrößten Markt für rezeptfreie Medikamente, zur Nummer eins werde. Christian Faitz von der Bank Macquarie. Er empfiehlt die Bayer-Aktie weiterhin und sieht als Kursziel 105 Euro. Gestern notierte sie bei 99 Euro. Christoph Schöndube vom Analysehaus Independent Research, meint: "Der Kauf der Merck-Sparte ist sinnvoll, weil er gut in die Strategie von Bayer passt, Marktführer bei rezeptfreien Arzneimitteln zu werden." Im klassischen Geschäft mit innovativen Medikamenten ist Bayer dagegen noch nicht mal unter den Top Ten.

Ist der Kaufpreis überhöht?

Ja, meint Analyst Schöndube. "Der Kaufpreis ist überhöht. Bayer zahlt das Siebenfache des Umsatzes der Merck-Sparte. Üblich ist in der Branche, das Zwei- bis Dreifache zu zahlen." Hinzukomme, dass der Kauf komplett kreditfinanziert werde. "Es wäre einfacher gewesen, wenn Bayer parallel die Kunststoffsparte verkauft hätte, um den Deal zu finanzieren", so Schöndube

Bayer zahlt für die Übernahme 10,4 Milliarden Euro. Allerdings konnte der Konzern eine Art Rabatt aushandeln, denn zugleich vereinbarte er mit Merck eine Partnerschaft bei Herz-Kreislauf-Mitteln. Bayer erhält für Vermarktungen bis zu 1,5 Milliarden Euro von Merck. Bayer legt das Geld bar auf den Tisch und besorgt es sich über Kredite etwa der Bank of America und der BNP Paribas. Später sollen die Kredite über Unternehmensanleihen abgelöst werden.

Was bedeutet der Kauf für andere Bayer-Sparten wie die Kunststoffe?

Die Branche diskutiert seit langem, wann Bayer seine schwächelnde Kunststoff-Sparte Material Science verkauft, um Geld für den Pharma-Ausbau zu haben. Die Sparte, die große Standorte etwa in Krefeld und Leverkusen hat, bremst Bayer seit Jahren mit Gewinneinbrüchen. Der Konzern baut gerade 700 der 14 500 Stellen bei Material Science ab. Analysten nennen die Sparte eine gute "Tauschwährung". Dekkers sagte zwar gestern, jetzt sei nicht die Zeit, um über solche Verkäufe zu reden. Er hat aber immer wieder betont, dass jede Sparte ihre Rendite-Ziele erreichen müsse.

Was bedeutet die Merck-Übernahme für die Beschäftigten?

Sie müssen sich zumindest in Deutschland keine Sorgen machen. Die Merck-Sparte hat weltweit 2200 Beschäftigte, die meisten davon in den USA. Die Bayer-Sparte Comsumer Care, in der das Geschäft mit den rezeptfreien Arzneien gebündelt ist, hat weltweit 8000 Mitarbeiter und ihren Sitz im amerikanischen Whippany. Womöglich kommt es dort zu Einsparungen. Doch grundsätzlich gehe es bei dem Deal gar nicht um Stellen-Einsparungen, betonte Dekkers. Für Bayers deutsche Produktionsstandorte von rezeptfreien Arzneimitteln - Aspirin etwa wird in Bitterfeld produziert - ändert sich ohnehin nichts. Entsprechend entspannt reagierten die Arbeitnehmervertreter. Gleichwohl hatte es zuvor im Aufsichtsrat kritische Diskussionen gegeben, wie es heißt. Zuletzt hatte sich das Gremium vor einer Woche am Rande der Hauptversammlung in Köln mit der Übernahme befasst. Da war aber der britische Pharma-Hersteller Reckitt Benckiser auch noch im Rennen. Am Ende hatte Bayer die Briten ausgestochen. So wie Reckitt es 2012 bei der Übernahme des Vitaminherstellers Schiff Nutrition mit Bayer getan hatte.

Was bedeutet der Deal für die Vertrags-Verlängerung von Dekkers?

Mit der Merck-Übernahme hat Marijn Dekkers sein Meisterstück abgeliefert. Er war einst als Portfolio-Manager geholt worden, der Bayer zum Pharma-Riesen ausbauen sollte. Zunächst begann er mit kleineren Übernahmen wie von Steigerwald (Iberogast) oder dem Krebsspezialisten Algeta. Nun hat Dekkers gezeigt, dass er eine Milliarden-Übernahme auch im Konsens mit den Gewerkschaften stemmen kann. Darauf legt der Traditionskonzern noch immer Wert. Ende des Jahres läuft Dekkers' Vertrag aus. Im Sommer will der Aufsichtsrat über die Verlängerung entscheiden. Nach dem Meisterstück wird Dekkers mehr denn je die Bedingungen diktieren können. Manche sagen, er wolle auf Dauer zurück in seine Wahlheimat USA. Vielleicht geht er, wenn es am schönsten ist.

(RP)
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