Düsseldorf Brasilien-Skandal gesellt sich zu Dieselgate

Düsseldorf · Volkswagen kommt nicht zur Ruhe. Inmitten der größten Affäre der Konzerngeschichte werden Vorwürfe über Verstrickungen während Brasiliens Militärdiktatur laut.

Den ersten Käfer schrauben zwölf Leute 1953 in einer kleinen Halle in São Paulo zusammen - mit aus Deutschland importierten Teilen. Danach rollt Auto um Auto vom Band. Volkswagen do Brasil wird eine Marke, die die Brasilianer bis heute lieben. Im März ist das 22-millionste Auto in Brasilien produziert worden, ein blauer New Fox Highline.

Doch auch in einem der wichtigsten Auslandsmärkte kriselt es gewaltig. Nicht nur der Imageverlust wegen der Abgasaffäre belastet den Wolfsburger Konzern. Wegen der Wirtschaftskrise im fünftgrößten Land der Welt bricht der Absatz weg: Bis August lieferte VW hier nur 245.900 Fahrzeuge aus - ein Rückgang von 30,6 Prozent. Als wäre das nicht problematisch genug, holt den Konzern seine Vergangenheit ein: Vor wenigen Tagen wurde eine Sammelanzeige wegen möglicher Kollaboration mit der Militärdiktatur eingereicht.

Hat die VW-Tochter in Brasilien Festnahmen am Arbeitsplatz und den Abtransport in Folterzentren während der Diktatur von 1964 bis 1985 geduldet oder sogar über das eigene Sicherheitspersonal aktiv unterstützt? Wurde das Regime mit schwarzen Listen versorgt? Wollte VW sich so ein "ruhiges" Marktumfeld in unruhigen Zeiten von Diktatur und Kaltem Krieg sichern? Denn nach der kubanischen Revolution gingen die Militärs in Brasilien massiv gegen Regimegegner vor. Es gab einige Hundert Tote.

VW müsse die Opfer um Entschuldigung bitten und eine "deutliche Entschädigung" leisten, fordert Christian Russau vom Dachverband der Kritischen Aktionäre. Bald wird sich Manfred Grieger wieder aufmachen nach São Paulo, fünfmal war er schon dort, seit Langem gibt es die Vorwürfe, aber durch die Anzeige gibt es neue Dynamik. Er ist Leiter Historische Kommunikation in Wolfsburg, sozusagen VW-Chef-Historiker und zugleich noch Lehrbeauftragter an der Uni Göttingen. Er arbeitet die Geschichte von Europas größtem Autobauer auf, so auch das Kapitel um Zwangsarbeiter. Ferdinand Porsche nutzte 1944 die guten Kontakte zu Heinrich Himmler, "um außerplanmäßige Zuweisungen von KZ-Häftlingen zu erhalten", schreibt Grieger in einer Analyse.

Die vom Arbeiterforum für Wahrheit, Gerechtigkeit und Reparation bei der Bundesstaatsanwaltschaft in São Paulo eingereichte Anzeige wiegt schwer. Der Deutschen Presse-Agentur liegen mehrere Dokumente vor. Da ist zum Beispiel ein mit "vertraulich" versehenes internes VW-Schreiben vom 9.9.1974: Es listet sechs bisherige Angestellte auf, die wegen subversiver Tätigkeiten vom Obersten Militärtribunal verurteilt worden seien.

Auch erhielt das Regime vertrauliche Berichte von VW. Zudem geht es um das mögliche Decken von Repression gegen Arbeiter in Betrieben. Der Konzern verspricht rasche Aufklärung. Ein Problem: Die Archive sind oft ungeordnet, einige Vorwürfe daher schwer zu verifizieren.

"Volkswagen bedauert in höchstem Maße, dass den Betroffenen während der Militärdiktatur gegebenenfalls unter Beteiligung von Mitarbeitern der Volkswagen do Brasil Leid zugefügt wurde", betont Grieger. Man werde auf die Betroffenen zugehen und sie befragen. Wer die Verantwortung für diese Menschenrechtsverletzungen trage, "werde vorbehaltlos und bis ins Letzte untersucht", verspricht Grieger.

Die von der brasilianischen Regierung eingesetzte Wahrheitskommission zur Aufarbeitung von Verbrechen in der Zeit hat bereits festgestellt, dass der Name Volkswagen häufig in Dokumenten auftaucht. Kommt es zum Prozess, könnten am Ende Entschädigungszahlungen anfallen - aber das größere Problem wäre ein weiterer Vertrauens- und Ansehensverlust.

(dpa)
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