Kolumne Kurt Von Storch Chinas fette Jahre sind vorbei

Das Wachstum schwächelt. Aber das langfristige Potenzial ist immer noch deutlich höher als das traditioneller Industrie-länder. Die Angst vor einem Crash ist übertrieben. Der Schwerpunkt verlagert sich hin zum Dienstleistungsgeschäft.

China ist derzeit das große Thema an den Börsen weltweit. Das Wirtschaftswachstum im Reich der Mitte schwächelt, die Zahl der faulen Kredite wächst. Dazu kommen die aus westlicher Sicht völlig irrationalen Kursschwankungen an den chinesischen Festlandbörsen. Rund um den Globus fürchten Anleger, Chinas Wirtschaft könnte kollabieren und die Welt in eine neue Krise stürzen, vergleichbar mit dem Absturz 2008/09, womöglich noch schlimmer. Aber wie realistisch ist ein solches Crash-Szenario?

Es ist vermutlich nicht übertrieben, zu behaupten, dass Wohl und Wehe der Weltwirtschaft in hohem Maße von der Entwicklung in China abhängen. Das Bruttoinlandsprodukt des Landes ist mit elf Billionen US-Dollar inzwischen gut dreimal so groß wie das deutsche und hat mittlerweile 60 Prozent des US-Niveaus erreicht. Wenn die chinesische Wirtschaft um sechs Prozent wächst, macht das umgerechnet rund 660 Milliarden Dollar aus. Um einen ähnlichen Wachstumsbeitrag zu erzielen, müsste die US-Wirtschaft um 3,7 Prozent und die Eurozone um 5,5 Prozent zulegen, was derzeit kaum wahrscheinlich erscheint.

Ein altes Börsensprichwort besagt, dass die Welt eine Lungenentzündung bekommt, wenn die USA als bedeutendste Wirtschaftsnation der Welt husten. Ähnlich groß ist die Bedeutung Chinas für die Weltkonjunktur. Chinas Einfluss auf die globale Wirtschafts-, Inflations- und Zinsentwicklung wächst. Seine Währung, der Renminbi, wird deshalb in anderen Ländern sehr genau beobachtet. Seit August hat er knapp sechs Prozent gegenüber dem Dollar abgewertet.

Während ein schwächerer Renminbi der chinesischen Exportwirtschaft hilft, leiden ausländische Unternehmen mit starkem China-Engagement darunter. Ablesen lässt sich das besonders gut am Deutschen Aktienindex (Dax). Auffällig ist, dass die rasch verlaufene Abwertung des Renminbi im August und Dezember jeweils zu deutlichen Kursverlusten beim Dax geführt hat, was die große Bedeutung Chinas für viele deutscher Konzerne reflektiert. Dax-Anleger sollten die Entwicklung in China deshalb sehr genau beobachten.

Dennoch: Die Angst vor einem Crash in China ist unseres Erachtens übertrieben. Auch wenn die fetten Jahre vorbei sind, ist das langfristige Wachstumspotenzial des Landes deutlich höher als das der traditionellen Industrieländer. Die Wachstumsschwerpunkte werden sich jedoch verschieben - von traditionellen Industriesektoren hin zu stark wachsenden Dienstleistungsbereichen. In China wird deshalb auch von einer Wirtschaft der zwei Geschwindigkeiten gesprochen. Sie muss und wird ressourcenschonender sein; der Hunger nach Rohstoffen wird nachlassen, sehr zum Leidwesen der großen Rohstoffexportländer.

Aber was bedeuten die Verwandlung Chinas und - damit einhergehend - das aktuelle Börsenumfeld für Anleger? Insgesamt dürfte es in 2016 schwer werden, ähnlich attraktive Renditen zu erzielen wie in den Jahren zuvor. Risikolose Euroanlagen rentieren bei null oder darunter. Aktien haben bereits einen langen Aufwärtstrend hinter sich; die Konjunkturperspektiven sind bestenfalls mäßig.

Um dennoch akzeptable Renditen zu erzielen, bedarf es einer sehr flexiblen und opportunistischen Anlagestrategie. 2015 hat uns gelehrt, dass es sich lohnt, auf besondere Gelegenheiten bei Aktien und Anleihen zu warten. Glücklicherweise werden uns die zum Teil kräftigen Kursschwankungen erhalten bleiben. Die sich dabei ergebenden Sonderangebote gilt es zu erkennen und zu nutzen. Voraussetzungen dafür sind Geduld, ausreichend Liquidität sowie eine konkrete Vorstellung über den tatsächlichen Wert einer Anlage.

(RP)
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