Interview mit dem Wirtschaftsweisen Schmidt "NRW wächst schwächer als Deutschland"

Düsseldorf · Der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, rechnet auch in NRW mit einem Aufschwung – aber weniger als bundesweit. Das Bundesland müsse jetzt trotz sprudelnder Steuereinnahmen mehr sparen, sagt Schmidt im Interview mit unserer Redaktion. Gegenüber Griechenland drängt er auf einen harten Kurs.

 Christoph Schmidt im November 2014 mit Kanzlerin Merkel bei der Übergabe des Jahresgutachtens der Wirtschaftsweisen.

Christoph Schmidt im November 2014 mit Kanzlerin Merkel bei der Übergabe des Jahresgutachtens der Wirtschaftsweisen.

Foto: dpa, rje axs

Der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt, rechnet auch in NRW mit einem Aufschwung — aber weniger als bundesweit. Das Bundesland müsse jetzt trotz sprudelnder Steuereinnahmen mehr sparen, sagt Schmidt im Interview mit unserer Redaktion. Gegenüber Griechenland drängt er auf einen harten Kurs.

Herr Schmidt, alle Wirtschaftsforscher prognostizieren höheres Wirtschaftswachstum für Deutschland. Wie stark wird NRW profitieren?

Christoph Schmidt Das günstigere Öl und der abgewertete Euro sorgen momentan für ein kräftiges Wachstum. Daher rechnen wir im Sachverständigenrat für dieses Jahr mit einem Wachstum von 1,8 Prozent. Die RWI-Prognose vom März geht sogar von 2,1 Prozent aus, nachdem wir Ende 2014 nur 1,5 Prozent erwartet hatten. Auch das Wachstum in NRW dürfte nun entsprechend höher ausfallen, allerdings ausgehend von einem niedrigerem Niveau: Im Dezember hatten wir sogar nur mit einem Zuwachs von einem Prozent gerechnet.

Warum wächst NRW langsamer als ganz Deutschland?

Schmidt NRW profitiert weniger als der Bundesdurchschnitt von der steigenden privaten Konsumnachfrage, die ja auch durch die gesunkenen Ölpreise angetrieben wird. Dies hat sich früher wiederholt gezeigt und hängt mit der Unternehmensstruktur zusammen. Dagegen profitiert NRW wohl überdurchschnittlich vom günstigen Euro, weil die Unternehmen besonders viel exportieren — sie sind aber gleichzeitig auch überdurchschnittlich von der Russland-Krise und der Energiewende betroffen.

Erspart die gute Konjunktur NRW das Sparen?

Die Kernpunkte im Überblick
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Schmidt Nein, im Gegenteil: Gemessen an der Wirtschaftskraft muss NRW deutlich schneller bei der Konsolidierung des Haushaltes vorankommen. Die strukturelle Konsolidierung ist noch nicht vollzogen, obwohl das niedrige Zinsniveau zu erheblichen Zinsersparnissen führt. Die Landesregierung darf die konjunkturell guten Zeiten auf keinen Fall nutzen, um die Ausgaben zu erhöhen, sondern sollte diese gerade jetzt überprüfen.

Seltsamerweise fallen der Opposition auch fast keine Sparvorschläge in NRW ein. Können Sie helfen?

Schmidt Grundsätzlich müsste NRW bei den Konsumausgaben wie zum Beispiel Personal und Verwaltung sparen. Konkrete Vorschläge muss allerdings vor allem die Landesregierung selbst machen — dies ist Teil der Regierungsverantwortung. Darüber hinaus ist wichtig, dass das Land neues Wachstum generiert.

Wie soll das geschehen?

So soll der digitale Wandel in NRW aussehen
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Schmidt Alle Schritte sind zu begrüßen, mit denen es für Investoren und Unternehmer attraktiver wird, hier tätig zu werden und nicht woanders. Das hat nicht zuletzt etwas mit Bürokratie zu tun, die gerade für kleine und mittlere Firmen leistungshemmend sein kann. Ein wichtiges Stichwort ist dabei die Balance zwischen Freiheit und Regulierung. Da in der modernen Wissensgesellschaft der Dreiklang "Bildung — Forschung — Wissenstransfer in die Wirtschaft" zentral ist, finde ich Schritte wie das neue Hochschulgesetz in diesem Zusammenhang besorgniserregend.

Wo schränkt das neue Gesetz die Hochschulen ein?

Schmidt Das Land braucht aus wirtschaftlicher Sicht einen starken Wissenschaftsstandort NRW, der dauerhaft dazu befähigt wird, auf internationalem Niveau Spitzenleistungen anzubieten. Da wäre es wichtig, den Hochschulen wenigstens zu signalisieren, dass man ihnen hohe Eigenverantwortung zutraut, nicht zuletzt bei Personal- und Haushaltsentscheidungen.

Die Ministerpräsidentin will NRW zu einem "The Place to be" für junge Gründerfirmen machen.

Schmidt Das finde ich im Grundsatz sehr gut. Mein Rat wäre, dabei nicht aus dem Auge zu verlieren, dass solche Unternehmen oft im Umfeld besonders forschungsstarker, innovativer Forschungseinrichtungen entstehen. Wenn ich den Hochschulen aber weniger Eigenständigkeit zubillige, muss ich in Kauf nehmen, dass gute Forscherinnen und Forscher eher abgeschreckt werden, ihre Leistung in NRW zu erbringe.

Könnte uns ein Grexit, also ein Euro-Austritt von Griechenland, die nächste Rezession bescheren?

Schmidt Das Risiko eines Grexit ist nicht ganz auszuschließen. Athen scheint ihn ja fast schon zu provozieren. Die wirtschaftlichen Ansteckungsgefahren für den Rest der Eurozone sind aber viel niedriger als 2011: Es gab in den Mitgliedstaaten des Euro erhebliche Anstrengungen bei Strukturreformen und der Konsolidierung der Haushalte, vor allem in den früheren Krisenländern Spanien, Portugal und Irland. Zudem wurde die Architektur des Euro-Raums deutlich gestärkt, etwa durch die Einrichtung des Krisenmechanismus ESM. Schließlich hat die EZB deutlich verkündet, dass sie alles Notwendige tun wird, um den Euroraum zusammenzuhalten.

Also alles in Butter in Euroland?

Schmidt Nein, es wäre nach wir vor der beste Weg, wenn die griechische Regierung zum Reformkurs zurückkehrte. Der schlechteste Weg wäre es aber, wenn man zuließe, dass Athen sich von der Reformpolitik verabschieden könnte, ohne dass dies Folgen für die finanzielle Unterstützung Griechenlands im Rettungsprogramm hätte. Denn dann bestünde das Risiko eines politischen Domino-Effekts, weil sich auch andere Mitgliedstaaten vom meist unpopulären Reformkurs verabschieden dürften — das hätte am Ende dann die katastrophalste wirtschaftliche Auswirkung.

Vom massenhaften Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB hält der Sachverständigenrat wenig?

Schmidt Wir sehen aktuell keine massiven Deflationsgefahren in Europa. Darum halten wir diesen so weitgehenden Eingriff zu diesem Zeitpunkt für nicht notwendig. Wir sehen vielmehr das Risiko, dass dadurch Übertreibungen bei Aktien und Immobilien entstehen könnten. Auch der Reformwille der Regierungen der Euro-Mitgliedstaaten wird dadurch noch ein Stück weit mehr gelähmt. Damit, dass die Zinspolitik der EZB mittlerweile in Richtung der Nullzins-Grenze geführt hat, hadern wir aber in diesen Krisenzeiten nicht. Dauerhaft werden aus dieser Situation jedoch nur Strukturreformen und solide öffentliche Haushalte führen.

Zurück zu NRW: Die Landesregierung sieht sich beim Länderfinanzausgleich benachteiligt, weil sie zusätzlich viele hundert Millionen Euro in den Umsatzsteuer-Vorausgleich einzahlt. Wie sehen Sie das?

Schmidt Es stimmt, dass NRW beim Länderfinanzausgleich insgesamt ein Geberland ist und nur durch dieses intransparente Konstrukt des Umsatzsteuer-Vorwegausgleichs auf der nachfolgenden Stufe zum Nehmerland wird. Aber warum sollte NRW als finanzstarkes Land grundsätzlich kein Geberland sein?

Brauchen wir einen anderen Länderfinanzausgleich?

Schmidt Ja. Es schafft die falschen Anreize, wenn in einem kompliziertem System am Ende von einem zusätzlich eingenommenem Euro fast alles umverteilt wird und wenn umgekehrt Mehrausgaben fast zur Gänze von der Gemeinschaft der anderen Ländern bezahlt werden. Es wäre besser, wenn alle Länder mehr Eigenverantwortung haben — das belohnt solides Haushalten. Allerdings wird es fast nicht zu vermeiden sein, die finanzschwächeren ostdeutschen Länder weiter zu fördern.

Was halten Sie vom NRW-Kommunalsoli, in den reiche Städte zugunsten schwacher Kommunen zahlen?

Schmidt Auch hier gilt: Solides Wirtschaften sollte belohnt und nicht bestraft werden. Dies ist bei dem gewählten Verfahren nicht gewährleistet.

Für viele Ihrer Ratschläge als "Wirtschaftsweiser" wie der Kritik an der Rente mit 63 haben Sie Kritik einstecken müssen. Macht der Job dann noch Spaß?

Schmidt Ja. Wir dienen der Allgemeinheit und sind kritische, unabhängige Begleiter der Politik. Mit unseren Anstößen sorgen wir auch für eine Diskussion in der ganzen Gesellschaft. Es wäre falsch, dem Zeitgeist einfach nur hinterherzulaufen.

Auch den Mindestlohn konnten Sie nicht verhindern.

Schmidt Stimmt, aber wir haben davor gewarnt, dass er Arbeitskosten kann, weil die Lohnkosten steigen. Und vielleicht spielen unsere Argumente wieder eine Rolle, wenn sich die Konjunktur eintrübt oder falls der Mindestlohn erhöht werden soll. Der Einkommensungleichheit kommt man jedenfalls besser über eine höhere Grundsicherung als über künstlich erhöhte Löhne bei.

Nun fragt die Bundesregierung die Bürger, was sie von einem "guten Leben" erwarten. Ihre Antwort?

Schmidt Für mich gehört zu einem erfüllten Leben, seine Talente zu nutzen und seine Pflicht zu erfüllen — eben einen Beitrag für die Gesellschaft leisten zu können. An erster Stelle steht natürlich die private und zwischenmenschliche Zufriedenheit, also Freunde und Familie.

Mit Christoph Schmidt sprachen Reinhard Kowalewsky und Thomas Reisener.

(kowa)
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