Leverkusen Das Ende einer Bayer-Ära

Leverkusen · Im Aufsichtsrat gab es Krach über den Ausstieg aus der Chemie. Die Gewerkschaften setzten durch, dass Kündigungen bis 2020 ausgeschlossen sind und die Zentrale in Leverkusen bleibt. Evonik will die Kunststoff-Tochter nicht kaufen.

Vor 150 Jahren hat Bayer als kleiner Chemie-Hersteller begonnen: mit synthetisch hergestellten Farbstoffen. Unter Vorstands-Chef Marijn Dekkers will der Konzern nun diese Wurzeln endgültig kappen. Der Aufsichtsrat stimmte gestern den Plänen des Niederländers zu, die Kunststoffsparte Bayer Material Science (BMS) an die Börse zu bringen. Vor zehn Jahren hatte der Konzern bereits seine Chemie-Aktivitäten unter dem Namen Lanxess an die Börse gebracht.

Was hat Bayer mit BMS vor? Der Konzern will die Kunststoffsparte bis 2015 in ein rechtlich eigenständiges Unternehmen überführen. In zwölf bis 18 Monaten soll BMS an die Börse gehen. Ob auf einen Schlag oder in mehreren Schritten, hängt von der Entwicklung des Kapitalmarktes ab. Am liebsten würde Bayer die Material-Science-Aktien an neue Investoren verkaufen ("IPO"). Notfalls würde man sie aber auch den Bayer-Aktionären ins Portfolio legen ("Spin-Off"), sagte Finanzchef Werner Baumann.

Greift Evonik jetzt zu? Bayer hält sich aber auch die Option offen, BMS direkt an einen Investor zu verkaufen. "Wenn ein Angebot kommen würde, hätten wir als Vorstand die Verantwortung, uns das zu überlegen", sagte Dekkers. Sogleich wurde über Evonik spekuliert. Evonik ist der drittgrößte Chemiekonzern in Europa (nach BASF und LyondellBasell), Bayer Material Science wird die Nummer vier. Evonik winkt ab. Auf Anfrage, ob man BMS kaufen wolle, sagte die Evonik-Sprecherin: "Nein, das ist nicht der Fall. Das Geschäft von BMS passt nicht zu uns."

Warum die Abspaltung?

Material Science hat Bayer einst satte Gewinne beschert. Doch wachsende Konkurrenz und Konjunkturschwäche führten dazu, dass BMS seit Jahren seine Kapitalkosten nicht mehr verdient. Das Pharma-Geschäft sei bei Bayer so dominant, dass es für BMS oft schwierig sei, ausreichend Investitionsmittel zu bekommen, sagte Dekkers. Nun wolle man zwei Top-Unternehmen schaffen.

Ist der Verkauf sinnvoll? Die Börse reagierte begeistert. Die Aktie legte um fünf Prozent auf den Rekordwert von 111 Euro zu. Profi-Anleger mögen keine Mischkonzerne, sondern finden reine LifeScience-Konzerne wie die neue Bayer attraktiver. Allerdings verliert Bayer mit der Trennung auch ein Standbein. Als die Pharmasparte 2003 wegen der Lipobay-Krise und fehlender Innovationen in einer tiefen Krise steckte, war man froh, die Kunststoffe als Ausgleich zu haben. Zugleich kann Bayer das Geld aus dem Börsengang gut gebrauchen. BMS wird in der Branche mit elf Milliarden Euro bewertet. Im Mai hatte Bayer für zehn Milliarden Euro Mercks rezeptfreie Arzneien ("Dr. Scholls") erworben, vollständig auf Pump finanziert.

Was heißt das für Standorte und Beschäftigte in NRW? Bayer Material Science hat gut 5000 Beschäftigte in Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen. Fürs erste müssen sie sich nicht sorgen. Die Gewerkschaften setzten durch, dass der Kündigungsschutz bei BMS und der neuen Bayer vorzeitig um fünf Jahre verlängert wird. Damit sind betriebsbedingte Kündigungen bis 2020 ausgeschlossen. Auch versicherte Dekkers, die NRW-Standorte seien wichtig und es gebe keine Absicht, das zu ändern.

Dennoch sind die Arbeitnehmer alarmiert. Peter Hausmann, der für die IG BCE im Aufsichtsrat sitzt, sprach vom Ende einer Ära: "Bayer verabschiedet sich von der Drei-Säulen-Strategie. Es besteht die Gefahr, dass es künftig ausschließlich um Gewinnmargen gehen wird."

Im Aufsichtsrat hatte es Streit gegeben. Erst nachdem Bayer gedroht hatte, der Kunststoffsparte den Geldhahn für Investitionen zuzudrehen, und den Erhalt der BMS-Zentrale in Leverkusen versprochen hatte, stimmten die Arbeitnehmer zu. "Diese Zustimmung ist uns äußerst schwer gefallen. Eine andere Möglichkeit sahen wir jedoch nicht, da der Vorstand notwendige finanzielle Mittel in Frage gestellt hat und die Zukunft von BMS im Bayer Konzern eine äußerst kritische Entwicklung genommen hätte", teilten die Arbeitnehmer-Vertreter mit. Allein das ist ein beispielloser Akt. Betriebsratschef Thomas de Win betonte, der Kündigungsschutz greife auch, wenn BMS verkauft wird.

War die CO-Pipeline relevant?

Erst jüngst hatte das Oberverwaltungsgericht die umstrittene Kohlenmonoxid-Pipeline gestoppt, die die BMS-Standorte Uerdingen und Dormagen verbindet. Bayer ist erzürnt über die Planungsunsicherheit in NRW. Doch für die Abspaltungs-Entscheidung, so versichert Dekkers, habe die Pipeline keine Rolle gespielt. Immerhin.

(RP)
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