Kolumne Roland Tichy Das Problem bei VW ist die IG Metall

Volkswagen braucht einen Strukturwandel - und vor allem eine Abkehr vom Gewerkschaftsfilz, findet unser Kolumnist.

Erinnern Sie sich an Enron, "Americas greatest Company", von einem Wirtschaftsmagazin sechs Mal als innovativstes Unternehmen ausgezeichnet? Innovativ war nur die Bilanzierung. Enron war eine Schwindelbude.

Schwindel in Unternehmen kommt öfter vor. Siehe VW. Rätselhaft ist, dass dort niemand von den manipulierten Diesel-Motoren gewusst haben will. Ein Blick auf die Corporate Governance (Regeln der guten Unternehmungsführung) zeigt: Damit steht es nicht zum Besten bei dem seltsamen Gebilde.

Jetzt wird der Gigant gerupft. Die 18 Milliarden Euro in der Kasse werden für Strafen und Nachrüstung nicht reichen. Wer zahlt dann? 40 Prozent haben Aktionäre über Kursverluste schon verloren. Auch den Steuerzahler trifft's: Ein Fünftel von VW gehört Niedersachsen. Bald fehlt dort das VW-Geld in der Kasse.

Und was ist mit den Arbeitsplätzen? Die Antwort ist einfach. "Die Arbeitnehmer haben damit nichts zu tun", sagt IG-Metall-Chef Detlef Wetzel. Kriminelle Manager seien am Werk gewesen. Stimmt. Der Mann am Band hat damit wirklich nichts zu tun - seine Gewerkschaft dafür umso mehr. Denn das ist eine der Besonderheiten an VW: In keinem anderen deutschen Konzern sind die Gewerkschaften so stark.

Gebaut wurde das VW-Werk von der "Deutschen Arbeitsfront" - der Nazi-Gewerkschaft. Als die britische Besatzungsmacht 1949 das zunächst als Nazi-Eigentum beschlagnahmte VW-Werk an Niedersachsen und den Bund übergab, erhielten die Gewerkschaften Einflussrechte als Entschädigung für Vermögen, das ihnen die Nazis bereits in den 1930er Jahren abgenommen hatten.

Unter Bundeskanzler Ludwig Erhard wurde der Bundesanteil privatisiert. Die "Volksaktie VW" entstand. Niedersachsen hielt an seinem Einfluss fest. So richtig in der Marktwirtschaft kam VW durch die Blockadehaltung von Land und IG Metall nicht an. Das Land wollte seinen Einfluß behalten. Heute steht Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) als starker Mann im Aufsichtsrat im Zentrum einer grundsätzlichen Kritik.

Zwar übernahmen später nach einer Übernahmeschlacht die Porsches und Piëchs wesentliche Anteile, doch dadurch wurde VW lediglich zum Zwitter: Riesiger Einfluss von Staat und Gewerkschaft einerseits, ein bisschen mittelständisch erscheinendes Familienunternehmen andererseits.

Aber tatsächlich gibt die IG Metall bei VW den Ton an - und ihr Einfluss darauf, wo ein Werk verändert, gebaut oder geschlossen wird, ist sogar in einem eigenen Gesetz zementiert. Im Aufsichtsrat stellt sie die Hälfte der Kontrolleure. Im Präsidium des Aufsichtsrats, der Machtzentrale, entscheiden der langjährige IG-Metall-Boss Berthold Huber, Betriebsratschef Bernd Osterloh und sein Stellvertreter Stephan Wolf; dazu noch der gewerkschaftsnahe Ministerpräsident Stephan Weil. Nur Wolfgang Porsche vertritt das Kapital. Vier zu eins für Gewerkschaft und Politik - ein Lehrstück für bösen Kapitalismus ist das nicht.

Die IG Metall ist Herr im Hause VW - regiert von unten, über die Betriebsräte, und kontrolliert sich selbst von oben, über den Aufsichtsrat. Das ist das eigentlich Fragwürdige an VW: Tief vernetzt wissen die Betriebsräte und Gewerkschaften ganz genau, was an jedem einzelnen Arbeitsplatz vor sich geht - und sind gleichzeitig in das Top-Management fest eingebunden und in der Kontrollinstanz tonangebend.

Damit ist VW nicht nur schlecht gefahren. Etwa als in den 1990ern der Konzern in die Krise torkelte. Da setzten die Gewerkschaften und Personalvorstand Peter Hartz durch, dass nur noch 24 Stunden statt 40 gearbeitet wurde - und die Löhne schrumpften. Keine Abfindung bei Entlassungen - und Ferdinand Piëch konnte mit den gesparten Löhnen VW zum Giganten machen. Es gibt Grund zu der Annahme, dass manche Gewerkschafter dem brutalstmöglichen Sparpaket nur zustimmten, weil ihnen Prostituierte aus Brasilien in die weichen Betriebsratsbetten gelegt wurden. Egal, es hat funktioniert, oder?

Heute will keiner vom Diesel-Schwindel gewusst haben. Da wird eher unter den Teppich gekehrt, dass der VW-Skandal gerade den Staatseinfluss Niedersachsens trifft und zentral die IG Metall. Die nennen sich die weltgrößte Gewerkschaft - clever, top-informiert und knallhart. Wenn Gewerkschaftschef Wetzel einen Kulturwandel fordert, deutet sein Zeigefinger auf VW - aber die anderen Finger zeigen auf den Gewerkschaftsfilz.

(RP)
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