Athen/Brüssel Der 50-Milliarden-Euro-Mythos

Athen/Brüssel · Der Verkauf von Staatsfirmen in Griechenland soll viel Geld bringen. Doch Experten warnen vor falschen Erwartungen.

Griechenland ist bekannt für seine Mythologie. Wohl jeder kennt Homers Erzählung vom Trojanischen Krieg: Die griechischen Angreifer hinterließen nach zehn Jahren Belagerung vor Troja ein hölzernes Pferd als Zeichen ihres Rückzuges vor den Toren der Stadt. Begeistert zogen die Bürger das Pferd in ihre Stadt - und nachts verließen es Odysseus und 50 Getreue, öffneten die Stadttore für heimlich wartende Truppen. Troja wurde vernichtet.

Wahrlich sagenhaft - genau wie die vermutlich maßlos überzogene Prognose der Troika, dass mit weiteren Privatisierungen des griechischen Staates 50 Milliarden Euro erzielt werden könnten. In Athen wird derzeit wieder über das neue Rettungspaket verhandelt, für das die Privatisierungen ein Schlüsselfaktor sind. Allerdings warnen Experten vor falschen Erwartungen: "Am Ende werden wohl eher rund zehn Milliarden Euro in die Kasse kommen", sagt Dieter Bräuninger von der Deutschen Bank, "das Ziel der Politik von 50 Milliarden ist extrem ambitioniert."

Wie wacklig die Hoffnungen sind, zeigt sich bei der griechischen Eisenbahn. "Wir würden sie nur geschenkt nehmen", erklärte der Vorstand der österreichischen staatlichen Eisenbahn. Griechenland hatte früher mit einem Preis von mindestens 200 Millionen Euro gerechnet. Doch nur 17 Prozent des Gleisnetzes sind privatisiert, mit vier verschiedenen Spurbreiten ist das Land erschlossen, was einen flexiblen Einsatz von Zügen unmöglich macht. Die Belegschaft ist demotiviert und streikt laufend, die Zustände seien "fast surreal", urteilt das Fachblatt "Eisenbahn-Revue".

Nicht viel besser steht es um große Teile des Athener Staatsbesitzes. So wirbt die Privatisierungsagentur HRADF mit dem Verkauf der Anlagen der olympischen Spiele von 2004 - in Wahrheit will niemand ein Baseballstadion kaufen oder ein Schwimmbad, in dem Kacheln lose sind. Der angebotene Stromkonzern DEI betreibt einige der ältesten Kraftwerke Europas - RWE verzichtete nach einer eingehenden Prüfung darauf, Anteile zu kaufen. Hunderte Verkäufe könnten daran scheitern, dass in Griechenland ein aussagefähiges Katasterwesen fehlt. Das Eigentum vieler Immobilien ist nicht gesichert, ein angebotener staatlicher Strand am Ionischen Meer durch 7000 ungenehmigte Ferienhäuser verbaut.

Trotz solcher Fälle hält insbesondere die Bundesregierung daran fest, dass 50 Milliarden Euro ein möglicher Verkaufserlös seien. Der wichtigste Grund: Die Hoffnung soll im Bundestag Stimmen für das neue Rettungsprogramm sichern, weil es einen substanziellen Eigenbeitrag Athens zur Sanierung suggeriert.

Gleichzeitig ist unstrittig, dass bei einer Rettung Griechenlands eine stärkere Privatwirtschaft eine wichtige Rolle spielen muss. Also müssen wichtige Wirtschaftsbereiche auch ohne große Erlöse privatisiert werden, um die Infrastruktur zu stärken. So hat es sich als Glücksfall für Griechenland erwiesen, dass die Deutsche Telekom beim Telefonkonzern OTE einstieg - jetzt fließen 1,2 Milliarden Euro in neue Netze.

Ein Teil des Hafens von Piräus wurde mit Erfolg an chinesische Firmen verkauft - jetzt sollen weitere Teile und der Hafen von Thessaloniki privatisiert werden. Das kann Arbeitsplätze schaffen und Aufträge für Logistiker bringen.

Die größte Chance für neue Jobs wären indes mehr zahlende Besucher, also Touristen. Da ist es ein harter Rückschlag, dass Tui bei der Hotelkette Grecotel ausstieg. Dafür plant ein anderer deutscher Konzern Investitionen in Griechenland: Die Flughafengesellschaft Fraport will für 1,2 Milliarden Euro zwölf kleinerer Flughäfen kaufen. Dieses Geschäft hatte Alexis Tsipras nach seinem Wahlsieg gestoppt.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort