Heinrich Hiesinger unter Druck Der Aufsichtsrat kritisiert ThyssenKrupp-Chef

Essen · Bislang wurde Heinrich Hiesinger der Konzernkrise zum Trotz gefeiert – von den Mitarbeitern, den Investoren und von den Aufsichtsräten. Aber jetzt muss er liefern. Die Ungeduld wächst, der Verkauf der Stahlwerke kommt nicht voran.

 Der Druck auf Heinrich Hiesinger steigt.

Der Druck auf Heinrich Hiesinger steigt.

Foto: dapd, Rolf Vennenbernd/Pool

Bislang wurde Heinrich Hiesinger der Konzernkrise zum Trotz gefeiert — von den Mitarbeitern, den Investoren und von den Aufsichtsräten. Aber jetzt muss er liefern. Die Ungeduld wächst, der Verkauf der Stahlwerke kommt nicht voran.

Im ThyssenKrupp-Aufsichtsrat wurde am Dienstag offenbar erstmals Kritik an Konzernchef Heinrich Hiesinger laut. "Das war eine neue Qualität. Der Aufsichtsrat hat deutlich gemacht, dass er vom Management Lösungen erwartet", hieß es im Umfeld des Kontrollgremiums.

Ein ThyssenKrupp-Sprecher wollte das unter Verweis auf die Vertraulichkeit der Sitzung nicht kommentieren. Hiesinger berichtete dem Gremium dreieinhalb Stunden lang über den Verhandlungsstand beim Verkauf der gescheiterten Übersee-Stahlsparte sowie über die aktuelle Geschäftslage des Konzerns, dessen Geschäftsjahr am 30. September endet.

Zwar sei der 53-jährige Manager, der Anfang 2011 von Siemens zu ThyssenKrupp kam, im Aufsichtsrat immer noch unumstritten, hieß es. Aber dem Vernehmen nach wächst auch bei den Kontrolleuren inzwischen der Unmut darüber, dass Hiesinger bei der zentralen Baustelle des Konzerns nicht vorankommt. Entsprechend sollen auch die Fragen an Hiesinger ausgefallen sein. In Konzernkreisen hieß es hingegen, von Kritik an Hiesinger im Aufsichtsrat könne "nicht die Rede sein". Der Konzern steht loyal zu seinem Chef, weil er ihm das Ende einer von alten Seilschaften, Korruption und Kartellverstößen geprägten Unternehmenskultur verdankt. Aber den Investoren, die der Aufsichtsrat vertritt, hat Hiesinger noch nicht viel geboten.

Der Verkauf der Amerika-Stahlsparte kommt nicht voran

Im Mai hatte er noch den "zeitnahen" Verkauf der verunglückten Amerika-Stahlsparte in Aussicht gestellt, die Monat für Monat Millionen verbrennt. Aber die Verkaufsverhandlungen sind inzwischen festgefahren. Der brasilianische Stahlkonzern CSN will als einzig seriöser Interessent laut Insidern nicht einmal die 3,4 Milliarden Euro zahlen, auf die ThyssenKrupp die beiden Übersee-Werke inzwischen abgewertet hat — obwohl ihr Aufbau mehr als zwölf Milliarden Euro gekostet hat.

Am Vorabend der Aufsichtsratssitzung musste ThyssenKrupp sogar einen "FAZ"-Bericht dementieren, demzufolge der Verkauf komplett gescheitert ist. Außerdem ist die Eigenkapitalquote des mit mehr als fünf Milliarden Euro verschuldeten Konzerns so dramatisch eingebrochen, dass die Kreditlinien wackeln. Unter dem Strich des vergangenen Geschäftsjahres stand bei ThyssenKrupp ein Verlust von fünf Milliarden Euro, und auch in den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres hat der Konzern bereits einen Verlust von 1,2 Milliarden Euro eingefahren.

Kommt die Kapitalerhöhung?

Gesprochen wurde im Aufsichtsrat auch über die Kapitalerhöhung, die ThyssenKrupp mit sehr großer Wahrscheinlichkeit plant. Auch so ein Problem, für das Hiesinger öffentlich noch keine Lösung präsentiert hat: Einerseits braucht der Konzern dringend frisches Geld. Andererseits kann er die neuen Aktien an der Börse nur weit unter Wert verkaufen, solange er auf dem ungelösten Übersee-Problem sitzt. Das wiederum weiß auch CSN, weshalb die Brasilianer es vermutlich nicht nötig haben, für die Übersee-Stahlsparte von ThyssenKrupp ein faires Angebot vorzulegen. Hiesinger sitzt in der Zwickmühle.

Um nicht erpressbar zu sein, bereitet er unabhängig vom Verkauf der Übersee-Werke bereits die Platzierung von neuen Aktien bei einzelnen Großinvestoren vor. Angeblich gehören dazu auch Hedgefonds. Auch das will ThyssenKrupp nicht kommentieren. Aus Sicht der Arbeitnehmer sind Hedgefonds bei ThyssenKrupp keine willkommenen Investoren. Betriebsratschef Wilhelm Segerath betont bei jeder Gelegenheit, dass er am liebsten nur langfristige Investoren will, weil Stahlgeschäfte nur auf Dauer profitabel sein können. Hedgefonds hingegen sind dafür bekannt, schnelle Gewinne kassieren zu wollen und Konzerne auch skrupellos zu zerschlagen, sobald es sich für sie lohnt. Auch für eine Zerschlagung wäre ThyssenKrupp ein lohnendes Opfer: An der Börse ist der gesamte Konzern derzeit um etliche Milliarden weniger wert als seine einzelnen Sparten.

(tor)
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