Hannover Der Gewerkschaftsmanager

Hannover · Michael Vassiliadis wird heute in Hannover erneut zum Chef der IG Bergbau Chemie Energie gewählt. Vor ihm liegen schwierige Aufgaben: Keine andere Gewerkschaft hat mit einem derart massiven Strukturwandel zu kämpfen.

Yasmin Fahimi ist schwer erkältet. "Ich halte Abstand", verspricht die SPD-Politikerin und Lebensgefährtin von IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis, als sie mit dem Tross ihres Partners im Rundsaal des Hannoveraner Congress-Centrums beisammensteht. Und fügt scherzhaft hinzu, zur Not gebe es ja noch die Pharmaindustrie.

Das hätte ihnen jetzt noch gefehlt, wenn der Chef der drittgrößten deutschen Einzelgewerkschaft inmitten des nur alle vier Jahre tagenden Gewerkschaftskongresses krankheitsbedingt ausfallen würde. Ein weiterer Stolperstein in einem ohnehin holprigen Prozess: So stellte sich bei der Vorbereitung heraus, dass gleichzeitig die DGB-Schwestergewerkschaft IG Bau in Berlin ihren Gewerkschaftstag abhält. Auch sie wählt heute ihren Vorsitzenden. Viel ärgerlicher ist jedoch, dass die IG Metall heute ihre Forderungsempfehlung für die anstehende Tarifrunde inklusive Arbeitszeitverkürzung auf 28 Stunden vorstellen will - just zum Zeitpunkt von Vassiliadis' Wiederwahl. Dabei gilt im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) das ungeschriebene Gesetz, dass man sich medial nicht ins Gehege kommt. Ob nun bewusste Provokation oder Nachlässigkeit bei der Terminplanung - es knirscht einmal mehr in der DGB-Familie.

Vassiliadis lässt sich von alledem nichts anmerken und wirkt auch gesundheitlich fit, als er am Morgen vor die 400 Delegierten in der Eilenriedehalle tritt. Sie werden in den kommenden Tagen die strategischen Weichen für die nächsten vier Jahre stellen. Die Herausforderungen, die Vassiliadis und seine Gewerkschaft meistern müssen, sind enorm. Seit ihrer Gründung vor 20 Jahren hat die IG BCE massiv Mitglieder verloren. Das liegt in erster Linie daran, dass sie sterbende Branchen betreut - etwa den Steinkohlebergbau. Sollten zudem die demnächst beginnenden Koalitionsverhandlungen in Berlin zu Jamaika führen, droht ein weiterer Rückschlag: Die Grünen könnten einen vorzeitigen Ausstieg aus dem Braunkohletagebau durchsetzen.

Das verschärft den Druck. Von ehemals 1,2 Millionen Mitgliedern sind heute noch 640.000 übrig. Einen wie Vassiliadis ärgert das, entsteht doch so in der Öffentlichkeit das Bild einer Abrissgewerkschaft. Dem IG-BCE-Chef muss es also stärker als bislang gelingen, unerschlossenes Terrain zu bearbeiten: In der Arzneimittelbranche, im Kunststoffbereich, bei der Lebensmittelindustrie oder in der Folienproduktion gibt es noch weiße Flecken. Für die Gewerkschaft bedeutet das Kärrnerarbeit.

Und die nächsten Umbrüche ziehen schon am Horizont herauf. Vassiliadis hat gerade ein Buch zu Digitalisierung und Industrie 4.0 herausgegeben. Auch in seinen Branchen ist die Angst groß, dass Berufsbilder wegdigitalisiert werden. Auch darauf muss er Antworten finden.

Zugleich gibt es Konflikte mit den Arbeitgebern. In der ansonsten so sehr auf Sozialpartnerschaft ausgerichteten, streikfreien Chemie-Industrie hatten Arbeitgebervertreter erklärt, die deutsche Mitbestimmung sei ein Investitionshindernis. Die Provokation verfehlt ihre Wirkung nicht: Vassiliadis wirft den Arbeitgebern Zündeleien vor, "die unnötig, selbstgefällig und gefährlich sind", und fordert, dass Firmen, die nicht nach Tarif bezahlten, nicht Mitglieder im Arbeitgeberverband sein dürften. Der sonst so bedächtige Gewerkschafter kann auch Angriff.

Auf den Fluren des Congress-Centrums gehen viele Beobachter davon aus, dass Vassiliadis sein Ergebnis vom letzten Mal nicht wieder erreichen wird: 2013 schaffte er 99,2 Prozent. Wer wie Vassiliadis eine Großorganisation fit für die Zukunft machen will, der tritt zwangsläufig dem einen oder anderen auf den Schlips. Gegenstimmen dürfte es vor allem aus dem als links geltenden Großraum Hamburg geben. "Wenn's nichts wird, dann mache ich ab Dienstag Musik an der Straße", scherzt Vassiliadis. Ernsthaft fürchten muss er das allerdings nicht.

(maxi)
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