ANZEIGE Armutsgefährdung Der herbeigeredete Boom des Ruhrgebiets

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat erklärt, die Beschäftigungszahlen im Ruhrgebiet seien so gut wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders. Experten kritisieren das als Schönmalerei.

Armutsgefährdung: Der herbeigeredete Boom des Ruhrgebiets
Foto: pixabay

Hannelore Kraft zeichnete in einem Interview mit dem Generalanzeiger Bonn ein äußerst optimistisches Bild von der Arbeitsmarktsituation des Ruhrgebiets. Trotzt der verhärteten Langzeitarbeitslosigkeit, so die Ministerpräsidentin, habe man im Ruhrgebiet mit 2,3 Millionen genauso viele Beschäftigte wie zu den besten Zeiten von Kohle und Stahl.

Die CDU warf ihr daraufhin vor, die Statistik zu schönen. Beide Parteien berufen sich auf Zahlen des Statistischen Landesamtes. Wer nun recht hat, kommt darauf an, wie man die Statistik lesen will. Auf den ersten Blick gibt die Faktenlage Frau Kraft durchaus recht. Der Regionalverband Ruhr (RVR) zählte 2,37 Millionen Erwerbstätige im Jahr 2013 — im Jahr 1961 waren es 2,31 Millionen. Man könnte also durchaus zu dem Schluss kommen, das Ruhrgebiet würde derzeit einen Boom erleben, der an die goldenen Zeiten des Wirtschaftswunders anzuknüpfen vermag.

Ernüchternde Darstellung der Uni Bochum

Die Zahlen der CDU sehen derweil etwas anders aus. Denn Frau Kraft spart bei ihrem direkten Vergleich der Beschäftigungszahlen eine wichtige Differenzierung aus, die das Bild grundlegend verändert. 2014 gab es 1,62 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte im Ruhrgebiet. Diese Zahl der Arbeitnehmer, die Beiträge für Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zahlen, ist deutlich geringer als die Zahl der gesamten Erwerbstätigen — darunter werden nämlich auch diejenigen gezählt, die bloß gelegentlich jobben.

Im Gegensatz dazu gab es 1961 rund 2,34 Millionen hauptberuflich Erwerbstätige. Das legen Zahlen des Instituts für soziale Bewegung an der Universität Bochum nahe. Denn in den 70er-Jahren gab es noch keine Minijobber, und auch Teilzeitmodelle waren die Ausnahme. Es gab vor 55 Jahren also etwa 700.000 Menschen mehr, die einer geregelten Arbeit nachgingen.

Ruhrgebiet heute mehr von Armut betroffen als vor zehn Jahren

Auch die neuste Veröffentlichung des Statistischen Landesamtes Düsseldorf dämpfen die gute Aufschwungslaune, die Hannelore Kraft gerne verbreiten möchte: In NRW hatten letzten Jahr 16,3 der Einwohner ein Einkommen, das unter der Armutsgefährdungsschwelle lag. Das heißt im Klartext: Jeder Sechste ist von Armut betroffen. Das sind 2,3 Prozentpunkte mehr als vor zehn Jahren. Als armutsgefährdet gilt laut EU-Definition, wer weniger als 60 Prozent eines mittleren Einkommens zur Verfügung hat. In NRW liegt diese Schwelle bei 918 Euro für einen Einpersonenhaushalt.

Jeder zweite Erwerbslose in NRW (58,1 Prozent) gilt als arm, aber auch unter den Beschäftigten sind es 7,7 Prozent, die von Armut bedroht sind. Bei Rentnern und Pensionären liegt die Quote bei 14,4 Prozent, was gegenüber 2006 eine Steigerung von fast 6 Prozent bedeutet. Zudem sind die Einkommen recht ungleich im Land verteilt. Während Städte wie Düsseldorf den Zahlen des Stellenportals StepStone zufolge über einen florierenden Stellenmarkt verfügen, ist die Situation im Ruhrgebiet prekär. Die Statistik zeigt: Im Ruhrgebiet liegt die Armutsgefährdung nach wie vor deutlich höher als im Rest von NRW. Im Raum Dortmund sind es ganze 20,6 Prozent. In Duisburg, Essen, Hagen, Gelsenkirchen sind es 18 Prozent, die geringste Quote hatte mit 12,4 Prozent die Stadt Bonn sowie der Rhein-Sieg-Kreis.

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